(Mit) Ewigkeitslasten umgehen: Deponien als Kehrseite der industriellen Moderne

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 3.107
Autor*innen
Janine Hauer (MLU Halle-Wittenberg)
Philipp Baum (MLU Halle-Wittenberg)
Kurz­be­schreib­ung
Basierend auf ethnographischer Forschung zum Umgang mit Abfall und/auf Deponien bietet der Vortrag Einblicke in die Un/Möglichkeiten der Regulierung und Verwaltung von Ewigkeit(slasten).

Abstract

Wechselvolle Geschichte(n) um (De)Ressourcifizierungsprozesse prägen das Leben und die Landschaften im heutigen Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Erze, Salze, Kies und Kohle befeuerten einst die Industrialisierung und begründeten den Wohlstand im sogenannten Mitteldeutschen Chemiedreieck. Zugleich wurde die Region zu einem Sinnbild und Mahnmal der umweltzerstörerischen Folgen moderner Lebensweisen. Die extreme Akkumulation von chemischer Kontamination, Altlasten und Abfall erlangte international als „Bitterfeld-Syndrom“ traurige Berühmtheit. Gegenwärtig wandelt sich das Bild erneut: einstige Mondlandschaften werden sorgsam renaturiert, Prozesse und Technologien optimiert, Abfälle im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes effizient verwertet und unvermeidbare Deponierung dauerhaft und sicher gewährleistet.

Basierend auf ethnographischer Forschung zum Umgang mit Abfall und Deponien fragen wir in unserem Beitrag nach dem praktischen Umgang mit den Hinterlassenschaften moderner Lebensweisen und werfen einen Blick hinter allgegenwärtige Fortschrittsnarrative. Dabei stehen zwei zentrale Spannungsfelder im Mittelpunkt unseres Interesses.

Zum einen beleuchten wir den Zusammenhang zwischen Ressourcenabbau über und unter Tage und der Verbringung ‚unbedenklicher‘ Abfälle zur Verschließung dieser Felder. Dabei nehmen wir insbesondere solche Planungs- und Regulierungstechniken in den Blick, die landschaftliche Umgestaltung und daraus resultierende (Nach)Nutzungsmöglichkeiten ermöglichen bzw. einschränken. Anhand ausgewählter Beispiele zeigen wir, wie ehemalige Projekte des Extraktivismus ¬ wie Kiesgruben und Salzbergwerke ¬ zunehmend als Orte der Deponierung imaginiert werden. Dabei stellen sich insbesondere Fragen nach Klassifikation und Kontrolle.

Daran anschließend diskutieren wir, zum anderen, die Gleichzeitigkeit konkurrierender Zeithorizonte von Regulierung und Verwaltung einerseits und materiell-metabolischer Eigenschaften und Prozessen andererseits und zeigen auf, wie diese Zeithorizonte von und zwischen unterschiedlichen Akteuren verhandelt und verbunden bzw. entkoppelt werden.