Müllberge schürfen: Zum Verhältnis von Abfallkrise und Extraktivismus
Abstract der Sitzung
Das Prinzip des Extraktivismus verknüpft Produktions- und Konsumweisen, Infrastrukturen und alltägliche Konsum- und Verschwendungspraktiken, die den Planeten mit Müll, Schadstoffen und anderen menschlichen Hinterlassenschaften überfrachten. So bringen z.B. Technologien für nachhaltige Mobilität nicht generell ‘grünere‘ Lebenswelten hervor, sondern verändern deren räumliche und zeitliche Muster – verbesserte Luftqualität an einem Ort und „wasted landscapes“ anderorts sind z.B. durch Rohstoffabbau und Externalisierung eng miteinander verwoben.
Bei der Bearbeitung der Abfallkrise kommen diese Relationen jedoch oft zu kurz. Hinter konventionellen „end-of-pipe“-Strategien im Abfall- und Schadstoffmanagement steht ein lineares Verständnis von Abfall, das diesen vor allem als nachgelagertes Problem des Konsums konzeptionalisiert. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich die Waste & Discard Studies (Gille/Lepawsky 2022; Liboiron/Lepawsky 2022) auf jene systemischen Zusammenhänge, die Müll und Abfallproduktion überhaupt erst möglich machen – d.h., sie berücksichtigen das materielle Zusammenspiel von verschiedenen Abfällen, Schadstoffen und Organismen und die komplexen Beziehungen zwischen dem, was „upstream“ und „downstream“ geschieht. Die räumliche Verteilung und Bewegung von schädlichen Molekülen sind nur Ausgangspunkt um einerseits zu zeigen, wie Materialitäten im Wirkungsgefüge von Ökonomien, Dingen, Praktiken und Infrastrukturen zustande kommen und andererseits zu fragen, wie sich Prozesse und Praktiken der Mobilisierung verändern lassen.
Wie werden Schadstoffe und Abfälle aufgrund ihrer sozio-materiellen Eigenschaften und Beziehungen in Bewegung gesetzt und konfiguriert? Wie können Industrie und Alltagspraktiken von Konsum und Verschwendung miteinander verknüpft werden, ohne direkte Kausalitäten zu unterstellen? Wirken sich Ansätze der Kreislaufwirtschaft auf den Ressourcenabbau aus, und wenn ja, wie? Welche alternativen Praktiken der (Für‑)Sorge in „permanent verschmutzten Welten“ (Liboiron, Tironi u. Calvillo 2018) sind angesichts unmöglicher Ent-Sorgbarkeit und der Persistenz modernen Abfalls (MacBride 2012) vorstellbar? Stehen Praktiken des ‘Entsorgens‘, des Einlagerns und Einhegens von Abfällen in Gegensatz zur Sorge? Wie bewirken diese Verhältnisse systematische (Umwelt)ungleichheiten und „sacrifice zones“ (Lerner 2012) – und was könnten angemessene Strategien sein, um unter den Bedingungen asymmetrischer Machtverhältnisse zu intervenieren? Wir laden Beiträge ein, die diese komplexen Beziehungen zwischen Extraktivismus, Verschmutzung und Verschwendung entlang machtförmiger gesellschaftlicher Prozesse, sozialökologischer Praktiken und Materialitäten beleuchten.
Mögliche Beitragsthemen sind u.a.:
- Abfall and Extraktivismus
- Praktiken der (Für)Sorge um/mit Müll
- Zeitlichkeiten des Abfalls
- Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Abfall, Verschmutzung und Verworfenem
- Sacrifice Zones
- Mobilisierungen von Abfall
- Agency und Materialität von Müll