Mit Geographie verstehen, wie Nachhaltigkeit gemacht wird: Geographieunterricht als Reallabor und Aushandlungsort einer nachhaltigen Entwicklung

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 1.106
Autor*innen
Ursula Steffen (Bergische Universität Wuppertal)
Kurz­be­schreib­ung
Anhand einer designsbasierten Fallstudie wird ein konzeptioneller BNE-Fachlichkeitsansatz diskutiert, der im Sinne einer stärkeren Wissenschaftsorientierung, anknüpfend an die Perspektiven transformativer Forschung, Geographieunterricht als Ort der Bedeutungsaushandlung von Nachhaltigkeit begreift.
Schlag­wörter
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), Transformative Bildung, Kontingenz, Basiskonzepte, Nachhaltigkeit

Abstract

Das aktuelle Aktionsprogramm ESD 2030 verweist auf die Dringlichkeit eines Paradigmenwechsels im Bildungssystem hin zu einer „Bildung für mehr Menschlichkeit“ (UNESCO/DUK 2021). Der Umgang mit Unsicherheit zählt dabei zu den Kernmerkmalen von BNE-Lernprozessen (BNE-Leitlinie NRW 2019). Dabei kann ein einseitig am Lehrbuch orientierter Unterricht nur bedingt auf die Herausforderungen des Anthropozäns vorbereiten, vermittelt dieser den Eindruck stabilen, sicheren Wissens (Niebert 2016). Ein basiskonzeptionell ausgerichteter, stärker wissenschaftsorientierter Unterricht wird dabei als ein Weg diskutiert, Schüler:innen auf einen Umgang mit Unsicherheit vorzubereiten (u.a. Jekel et al. 2017), indem sie verstehen und lernen, wie Wissen produziert wird (vgl. u.a. Lambert et al. 2015). Dieser Denkart liegt ein emanzipatives Verständnis des Wissensbegriffs zugrunde, welche die Kontingenz von Wissen als Chance begreift (Rhode-Jüchtern 2009/2011; Bergmeister, Pichler et al. 2017). Auch der WBGU fordert, dass Transformative Bildung nicht nur die „Erkenntnisse der Wissenschaften (…) [vermitteln], sondern (…) ein grundlegendes Verständnis über das Erlangen dieser Erkennntisse [fördern solle]“ (WBGU 2011, S. 377), um die Akzeptanz von Handlungsansätzen zu erhöhen und Wissenschaftsskeptizismus entgegenzuwirken. Die Bedeutungsvielfalt des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung wird dabei vielmals als Hindernis einer erfolgreichen BNE-Implementation diskutiert (u.a. Gryl, Budke 2016). Ein hermeneutisches Nachhaltigkeitsverständnis betrachtet dahingegen die Bedeutungsvielfalt des Begriffs als Wesenskern der Nachhaltigkeit (Grunwald 2016). Reallabore werden dabei als „paradigmatische Orte der Bedeutungskonstitution“ (Grunwald 2016) einer nachhaltigen Entwicklung angesehen. Jedoch wird Nachhaltigkeit im Unterricht häufig auf eine Reflexion der Nachhaltigkeitsdimensionen reduziert, ohne dabei die Vieldeutigkeit des Konzepts in unterschiedlichen Nachhaltigkeitsdiskursen zu berücksichtigen. Im Rahmen des Vortrags wird ein BNE-Fachlichkeitskonzept für den Geographieunterricht der gymnasialen Oberstufe (in Anlehnung an Keil 2018) vorgestellt, welches ein hermeneutisches Nachhaltigkeitsverständnis für Unterrichtsprozesse fruchtbar macht. Geographieunterricht wird dabei als „Reallabor“ im Sinne eines Ortes der Bedeutungsaushandlung einer nachhaltigen Entwicklung konstruiert. Reflexiv-forschendes Lernen im Austausch mit Pionieren des Wandels ist dabei elementares Gestaltungsprinzip. Aufbauend auf den Erkenntnissen einer designbasierten Fallstudie (n=16) mit Langzeitcharakter (t=2 Jahre) wird diskutiert, inwieweit der vorgestellte Ansatz Räume schaffen kann, die Kontingenz des Nachhaltigkeitsdiskurses zu begreifen und ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie Nachhaltigkeit „gemacht“ wird. Dabei wird untersucht, wie sich die Schülerorientierungen zum Konzept einer nachhaltigen Entwicklung sowie ihr subjektives Verständnis des Bildungswerts des Fachs Geographie verändern.