„Na, alles gut soweit?“ und andere Dinge, die man im Ahrtal nicht sagen sollte
Abstract
Forschung in einem Katastrophengebiet erfordert ganz besonderes Fingerspitzengefühl und wirft zahlreiche Fragen auf. Darf man hier wirklich eine rein beobachtende Position einneh-men oder trägt der:die Forschende nicht auch eine zwischenmenschliche Verantwortung, emotionale Unterstützung anzubieten, wenn in Interviewsituationen Tränen fließen? Sollte man sich „vorstellen können, wie schlimm das sein muss“ oder drückt man besser Bewunde-rung für das unvorstellbare Durchhaltevermögen der Betroffenen aus?
Was tut man, wenn ergreifende Schilderungen persönlichen Leidens nahtlos in populistischen Sozialneid übergehen? Was sagt man zu einem Menschen, der seit zwei Jahren in einem Rohbau lebt und tatkräftig dazu beiträgt, seine verwüstete Heimatregion wiederaufzubauen, wenn er Ressentiments gegen ukrainische Kriegsopfer schürt, denen angeblich mehr geholfen werden würde als den Flutopfern im Ahrtal? Wie weit geht das Neutralitätsgebot ethno-graphischer Forschung, wo fängt gesellschaftliche Verantwortung an? Wie kann man gleich-zeitig Verständnis zeigen und den eigenen Werten gerecht werden? Und hat man in der Pra-xis überhaupt die nötige Zeit für eine angemessen differenzierte Erwiderung?