Neglecting the Shoulders of Giants: Das große Vergessen
Abstract
Bis vor wenigen Jahrzehnten galt der Grundsatz, dass neues Wissen stets auf bestehendem Wissen aufbaut. Die von Bernhard von Chartres schon im frühen 12. Jahrhundert verwendete, heute gerne Isaac Newton zugeschriebene Metapher, Gelehrte »seien gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können«, ist wohl das bekannteste Bild für diese Vorstellung. Die Berücksichtigung gewachsenen Wissens ist aber keine grundsätzliche Voraussetzung für Forschung mehr. Belesenheit in Hinsicht auf die »Klassiker« eines Faches scheint als essenzielle Voraussetzung für den Erfolg einer wissenschaftlichen Karriere ausgedient zu haben. In ultra-komplexen Disziplinen wie der Ökologie ist das verheerend, denn die mangelnde Auseinandersetzung mit vergangenen Diskursen, Begrifflichkeiten und geltenden (wissenschaftlichen) Wahrheiten führt dazu, dass gar nicht erkannt werden kann, warum bestimmte Perspektiven, Ansätze und Forschungsergebnisse nicht geeignet sind, um Vorgänge in der Natur zu verstehen. Der Beitrag geht der Frage nach, wie diese Vergessenheit mit wachsendem Leistungsdruck zusammenhängt - und mit dem Schwinden der Fähigkeit, innovative Forschungsfragen zu entwickeln.