Neue alte Ungleichheiten: Die Etablierung von Homeoffice während der Corona-Pandemie und die Folgen für Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 2.101
Autor*innen
Elisa Gerbsch (TU Dresden)
Kurz­be­schreib­ung
Anhand empirischer Befunde beleuchtet der Beitrag, inwiefern das Homeoffice Beschäftigungs- und Wohnverhältnisse modifiziert. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die im Zuhause stattfindende Erwerbsarbeit verstärkend auf Prekarisierungs- und Differenzierungsprozesse wirkt.

Abstract

Aus dem sozio-oekonomischen Panel geht hervor, dass im Jahr 2014 nur rund zwölf Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland im Homeoffice arbeiten – ein Großteil von ihnen meist nicht mehr als einen Tag in der Woche (Brenke 2016: 95). Mit Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 und den gesetzlich angeordneten Lockdowns wechselt nahezu ein Drittel aller deutschen Beschäftigten ins Homeoffice (Corona-Datenplattform 2021: 5). Wie Hart et al. in einer Studie zu verteiltem Arbeiten in der COVID-19-Pandemie feststellen, gehen digitale Erwerbspraktiken im eigenen Zuhause vielfach mit Verantwortungsübertragungen von Arbeitgeber*innen auf Arbeitnehmer*innen einher. Diese lassen sich in vier Bereiche unterteilen: Kenntnisaneignung, Arbeitsprozesse, Betriebsmittel sowie Arbeitsraum oder -platzgestaltung (2022: 107ff.).

Der Beitrag präsentiert die Ergebnisse einer qualitativen Studie, welche die Folgen der Verantwortungsübertragung für prekär Beschäftigte im Jahr 2020/2021 untersucht hat. Dabei wird deutlich, dass sich die Befragten beispielsweise die für Homeoffice-Tätigkeiten benötigten Kenntnisse häufiger selbstständig aneignen. Zudem wird die Verantwortung für alltägliche Abläufe, wie zum Beispiel für Arbeits- oder Pausenzeiten und Erreichbarkeiten öfter an sie delegiert. Obwohl prekäre Lohnarbeit meist auch mit einem unsicheren Einkommensverhältnis einhergeht, tragen die Befragten im Homeoffice einen größeren Eigenanteil an den sogenannten Betriebsmitteln (Strom, Miete, Software, usw.). Außerdem wird deutlich, dass die prekär Beschäftigten häufiger einkommensbedingt in vulnerablen Wohnverhältnissen leben. Sie stehen unter Verdrängungsdruck, leben in mangelhaften Wohnungen oder sehr beengt. Da oft kein separater Arbeitsraum zur Verfügung steht, sind sie gezwungen einen Arbeitsplatz in Küche, Schlaf- oder Wohnzimmer einzurichten. In der Folge überlagern sich Lohnarbeits- und Care-Arbeitspraktiken und führen, insbesondere für Frauen*, zu (stärkeren) Mehrfachbelastungen.

Den Beitrag schließt eine Diskussion, die sich einerseits mit der Frage beschäftigt, inwiefern Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen digitalisierter Heimarbeit zusätzlich entsichert werden. Andererseits soll auch gefragt werden, in welchem Zusammenhang (prekarisierte) Lohnarbeits- und Wohnpraktiken im Rahmen von Homeoffice mit dem (Wieder‑)Erstarken geschlechterbezogener Ungleichheiten gebracht werden können.