Plädoyer für eine umfassende Mobilitätsbildung: Vielperspektivisch und kindgerecht

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
SH 2.105
Autor*innen
Verena Röll (TU Berlin)
Diana Stage (TU Berlin)
Jurik Stiller (Humboldt-Universität zu Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Statt auf die Anpassung von Kindern auf den Verkehr, soll ganzheitliche Mobilitätsbildung dazu befähigen, sich selbstständig, sozial gerecht sowie umwelt- und klimafreundlich zu bewegen. Welche Möglichkeiten dies für die geographische Perspektive bietet, wird am Thema Flächengerechtigkeit exemplarisch aufgezeigt.

Abstract

Mobilität als Anspruch, als Phänomen und als Sache des Sachunterrichts ist in kindlichen Lebenswelten sehr präsent und ausgesprochen bedeutsam. Kinder sind mobil, indem sie sich im Raum bewegen und dabei von frühester Kindheit an Teil des Verkehrs sind. Auch mündige Teilhabe an diesbezüglichen Entscheidungen muss ihnen ermöglicht werden, Mobilität weist somit geradezu idealtypisch Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung für Kinder auf.

In der Verkehrsplanung wurden die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Kindern lange missachtet. Kinder waren lediglich Zielgruppe von Verkehrserziehung und sollten an den Verkehr angepasst werden. In der Schule lag der Fokus entsprechend auf dem Erlernen von Verkehrsregeln und sicheren Verhaltensweisen. Zwar wurde Verkehrserziehung in einigen Rahmen- und Fachlehrplänen inzwischen durch Mobilitätsbildung ergänzt bzw. ersetzt, dennoch liegt der Schwerpunkt in der Primarstufe weiterhin auf Sicherheitsaspekten (Stiller et al. i.V.). Diese Dominanz widerspricht Befunden hinsichtlich verkehrsrelevanter motorischer und kognitiver Fähigkeiten, da diese im Grundschulalter noch nicht voll ausgebildet sind (Kröling et al. 2021). Die Verantwortung für Schutz und Sicherheit liegt somit bei Erwachsenen, die entsprechende Strukturen und Bedingungen schaffen müssen.

Dadurch wird der Weg frei für eine ganzheitliche Mobilitätsbildung, die dazu befähigt, sich selbstständig, sozial gerecht sowie umwelt- und klimafreundlich zu bewegen. Was bedeutet dies für die geographische Bildung in der Grundschule? Aktuell ist Mobilitätsbildung bzw. Verkehrserziehung im Sachunterricht vor allem in der geographischen Perspektive verankert (Stiller et al. i.V.), gesellschaftliche und politische Aspekte von Mobilität sind jedoch in Rahmenlehrplänen bisher unterrepräsentiert. Es darf daher bezweifelt werden, dass in der schulischen Praxis das im Perspektivrahmen Sachunterricht dargelegte Potenzial der geographischen Perspektive, die genannten Kompetenzen im Bereich Mobilität und die Möglichkeiten einer vielperspektivischen Betrachtung voll ausgeschöpft werden.

Im Vortrag werden das Berliner Modell für Mobilitätsbildung (Stiller et al. i.V.) vorgestellt und exemplarisch am Thema Flächengerechtigkeit im Straßenverkehr Anknüpfungspunkte der geographischen Perspektive sowie Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Perspektiven aufgezeigt.

Kröling, Sophie, Schlag, Bernhard, Richter Susann und Tina Gehlert (2021): Ganzheitliche Verkehrserziehung für Kinder und Jugendliche. Teil 1: Entwicklung verkehrsrelevanter Kompetenzen im Alter von 0 bis 14 Jahren. Band 1: Übersicht Kompetenzentwicklung. Forschungsbericht Nr. 77. UDV: Berlin.

Stiller, Jurik, Röll, Verena, Miehle, Lotte et al. (2023): Berliner Modell zur Mobilitätsbildung. Ein interdisziplinäres Modell. DOI 10.18452/2570

Stiller, Jurik, Röll, Verena, Miehle Lotte et al.: Mobilitätsbildung in der Kindheit – Eine Annäherung auf Basis der vergleichenden Analyse von Lehrplänen für die Primarstufe (in Vorbereitung).