Praktiken zur Vergemeinschaftung der Daseinsvorsorge: Eine empirische Studie über sozial-ökologisches Engagement im ländlichen Raum

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 6
Autor*innen
Inga Haese (Universität Kassel)
Judith Althaus (Thünen-Institut)
Kurz­be­schreib­ung
Unser Beitrag diskutiert am Beispiel der "Neulandgewinner", wie Akteur*innen in gemeinschaftsbasierten Projekten die Vergemeinschaftung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum vorantreiben können, welche gemeinwohlorientierten Finanzierungsmodelle ihre Vorhaben fördern und welche Konflikte sich aus ihnen ergeben. Die Praktiken der Vergemeinschaftung und der Aneignung von Orten und Räumen stehen dabei im Zentrum.
Schlag­wörter
Gemeingüter, Ländlicher Raum, qualitative Forschung, sozial-ökologische Transformation

Abstract

Im deutschsprachigen Diskurs gibt es eine rege Auseinandersetzung über die Widersprüche ländlicher Entwicklung und emanzipatorischer Alternativen in ruralen Kontexten (Belina et al. 2022). Gemeinschaftsgüter und solidarische Landwirtschaften in ländlichen Räumen werden aktuell als „kreative, experimentelle Herangehensweisen“ (Unthan et al. 2022) thematisiert und Prakitken zur Bildung von Gemeinschaftseigentum als Alternative zu kapitalistischen Verwertungszwängen von Raum behandelt (vgl. Kumnig/Rosol 2020). Daran anschließend wollen wir im Konferenzbeitrag eigene empirische Forschungen zu kreativen Formen gemeinschaftlich organisierter Projekte im strukturschwachen, ländlichen Raum vorstellen (Haese 2023).

Dem Beitrag liegen die Ergebnisse einer Begleitstudie des Förderungsprogramms „Neulandgewinner“ zugrunde. Zwischen 2013 und 2023 hat das Programm rund 120 Engagement-Projekte im ländlichen Raum in Ostdeutschland unterstützt und transformative Praktiken sozial-ökologischer Veränderung gefördert (www.neulandgewinner.de). Unsere Forschungen basieren auf einer Dokumentenanalyse von 80 bewilligten Antragsschreiben aus vier Förderrunden, 30 qualitativen Interviews mit geförderten Personen und drei ethnographischen Feldstudien im Rahmen von Feldbesuchen (2019-20) sowie eine aktuelle Festival-Ethnographie (2022).

Gemeinsam ist den Akteur:innen ein Experimentieren mit sozial-ökologischen, gemeinwohlorientierten Praktiken, die wir als transformative Praktiken (Shove et al. 2012) fassen. Diese reichen von der Gründung des „Demokratiebahnhofs“ in Anklam über digitale Daseinsvorsorge („Verstehbahnhof“ Fürstenberg) bis zur Entwicklung sozialer Daseinsvorsorge, z.B. in der Bürgergenossenschaft “Gut gemeinsam leben im Elbe Valley”. Gemeinwohlorientierte Finanzierungsmodelle werden erprobt.

Unser Beitrag diskutiert am Beispiel der “Neulandgewinner”, wie Akteur*innen in gemeinschaftsbasierten Projekten die Vergemeinschaftung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum vorantreiben können, welche gemeinwohlorientierten Finanzierungsmodelle ihre Vorhaben fördern und welche Konflikte sich aus ihnen ergeben. Die Praktiken der Vergemeinschaftung und der Aneignung von Orten und Räumen stehen dabei im Zentrum.

Literatur

Belina, B./Kallert, A./Mießner, M./Naumann, M. (Hg.) (2022): Ungleiche Ländliche Räume. Widersprüche, Konzepte, Perspektiven. Bielefeld: Transcript.

Haese, I. (2023): Care-Ökonomien im ländlichen Raum am Beispiel eines ostdeutschen Gemeinschaftsprojektes, in: sub\urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung, i. E.

Kumnig, S./Rosol, M. (2020): Commoning Land Access, in: Exner, Andreas/ Kumnig, Sa-rah/ Hochleithner, Stephan (Hg.) (2020): Capitalism and the Commons: just Commons in the Era of Multiple Crises. New York: Routledge. 35-49.

Unthan, N./Heuser, J./Kratzer, A. (2022): Das Recht auf Dorf. Von Experimenten, Pionieren und (sozialen) Innovationen in ländlich-peripheren Biosphärenrenreservaten. In: Belina, Bernt u.a. (Hg.): a.a.O. Bielefel