Recht auf Wald: Solidarisierungsprozesse in Gesellschaft-Umweltverhältnissen vor dem Hintergrund der Klimakrise

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 12
Autor*innen
Sebastian Garbe (Frankfurt)
Kurz­be­schreib­ung
Dieser Beitrag möchte den Wald als zentralen Schauplatz gegenwärtiger Umweltproteste und Umweltschutzmaßnahmen in Deutschland begreifen. In diesen Kontexten lassen sich, so die Ausgangshypothese, verschiede Solidarisierungsprozesse zwischen Mensch und Natur sowie Gesellschaft und Umwelt erkennen.
Schlag­wörter
Wald, Solidarität, Proteste, care

Abstract

Im Kontext der gegenwärtigen Klimakrise ist in Deutschland vor allem der sozial-ökologische Raum des Waldes zum zentralen Schauplatz geworden, an dem klimatische Veränderungen und Konflikte sicht- und erfahrbar werden. In diesem Zuge finden um den Wald wichtige gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung statt, innerhalb derer der Wald zunehmend als politischer und sozialer Raum zu betrachten ist, an dem Gesellschaft-Umweltverhältnisse neu verhandelt werden.

Bei diesen Auseinandersetzungen geht es unter anderem darum, gegen zunehmende Abholzung zu protestieren oder den Wald und Bäume zu pflegen bzw. care-Arbeit am Wald zu leisten. Die in diesem Projekt zu untersuchenden Fallkontexte sind erstens vergangene und gegenwärtige Protestbewegungen gegen Waldabholzung in Hessen wie beispielsweise im Dannenröder Wald in der Nähe von Marburg und im Fechenheimer Wald in Frankfurt am Main. Diese Proteste und die damit entstanden sozialen Bewegungen reihen sich dabei in eine immer stärker und sichtbarer werdende globale Klimabewegung ein. Der zweite empirische Referenzpunkt sind lokale Projekte, in welchen Akteur*innen unbezahlte Pflegearbeiten innerhalb städtischer oder ländlicher Waldgebiete übernehmen. Dazu gehören u.a. das Projekt „MainStadtbaum“ der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main oder freiwillige Aufforstarbeiten, beispielsweise des Bergwalprojektes e.V. Diese Praktiken werden mit dem aus der feministischen Forschung stammenden Begriff der care-Arbeit betrachtet, der in diesem Zusammenhang als analytische Linse auf die Pflegearbeit am Wald fungieren soll, da unbezahlte Arbeit an einem gesellschaftlichen Gemeingut geleistet wird.

Diese miteinander verzahnten, aber doch voneinander unterscheidbaren politischen und sozialen Praktiken haben die Gemeinsamkeit, so das Argument dieses Beitrags, dass sie für ein Recht auf Wald in ihrem jeweiligen Praxiskontext eintreten und damit als Solidarisierungsprozesse zwischen Mensch und Natur sowie Gesellschaft und Umwelt interpretiert werden können. Dadurch soll das üblicherweise zwischenmenschlichen Verhältnissen vorenthaltene sozialwissenschaftliche Konzept der Solidarität auf Gesellschaft-Umweltverhältnisse erweitert werden, um ihren Horizont einer nachhaltigen und sozial-ökologischen Transformation auszuloten. Analog zu gegenwärtigen Protestbewegungen in urbanen Räumen, die u.a. in der prominenten Forderung nach einem „Recht auf Stadt“ (Lefebvre) ausgedrückt werden, möchte der vorliegende Beitrag den Fokus auf den Kampf für ein Recht auf Wald setzen.

Dieser Beitrag möchte dabei zunächst einen theoretischen und konzeptionellen Rahmen vorschlagen, um Solidarisierungsprozesse im Wald aus einer interdisziplinär-sozialwissenschaftlichen, insbesondere ethnographischen, feministischen, dekolonialen, und posthumanistischen Perspektive zu untersuchen. Zweitens werden explorativ die zu untersuchenden empirischen Fallkontexte vorgestellt, die für ein „Recht auf Wald“ eintreten.