Resilienter oder regressiver Lokalismus: New Localism im Spannungsfeld der Corona-Proteste in Freiberg

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 12
Autor*innen
Paul Zschocke (Leibniz-Institut Friedens- und Konfliktforschung (HSFK))
Kurz­be­schreib­ung
Der Vortrag analysiert Anhand von ethnographischen Beobachtungen und qualitativen Interviewmaterial die konfliktträchtige Produktion lokaler Gemeinschaft(en) im Spannungsfeld der Corona-Proteste in Freiberg (Sachsen) und diskutiert regressive wie resiliente Potentiale eines New Localism.

Abstract

Das Konzept des „New Localism“ (Katz 2018) stärkt die normative Dimension des Lokalen in der Analyse rechtspopulistischer und regressiver Politiken. Es stärkt die Suche nach Lösungsansätzen für gesellschaftliche Konflikte und versucht resilienten Potentialen gegenüber regressiven Politiken im Lokalen zu heben. Seit 2020 bestimmten die Corona-Proteste den Inhalt und die Praxis regressiver Politiken. „Im urbanen Raum präsent zu werden und eine affizierende Kraft zu entfalten, sich dabei als Gemeinschaft wahrzunehmen und sich zu zeigen“ (Hentschel 2021), waren ihr zentraler Topos und performative Akte des Widerstandes dabei absolut zentral (Zschocke u. Mullis 2022). Im Moment der weitgehenden Beschränkung des öffentlichen Lebens verschafften sich die Proteste nahezu exklusiven Zugriff darauf und damit auf das politische Unvernehmen in Zeiten der Pandemie. In Sachsen, wo die ‚Spaziergänge‘ der Freien Sachsen und lokaler Protestgruppen zeitweise bis zu 30.000 Demonstrierende anzogen, stellt sich Bewegung in die Traditionslinie von PEGIDA u. a. rechtspopulistischen Protesten und war damit Ausdruck hegemonialer Kämpfe um die Sächsische Demokratie. Wie auch schon in diesen vorangegangen Protestzyklen waren Mittelstädte wie Bautzen und Freiberg wichtige Zentren des Protests.

Am Beispiel der Corona-Proteste in Freiberg (Sachsen) wird die These vertreten, dass in diesen Kämpfen um Hegemonie ein Bedeutungszuwachs des Ringens um das Lokale zu erkennen ist. Die Artikulation lokaler Identität(en) und die Partizipation an lokalistischer Praktiken haben zentralen Stellenwert: (Skalare) Konflikte um die Einschränkungen von städtischen Veranstaltungen, wie dem „Bergstadtsommer“ oder dem „Weihnachtsmarkt“ durch die Landespolitik dienten der diskursiven Rahmung des Protests und schufen Kulminationspunkte; das gemeinsame Besingen des traditionellen Steigerliedes gilt den Versammlungsteilnehmenden als obligatorisch und das Schwedendenkmal – Symbol für den Widerstand der Stadt gegen Besetzung im 30-jährigen Krieg – war zentraler Ort ihres Protests. Aber auch die Kritiker*innen der Proteste sowie die Lokalpolitiker*innen waren an der Rekonfiguration des Lokalen und an lokalistischen Diskursen und Praktiken der Vergemeinschaftung beteiligt. Anhand von ethnographischen Beobachtungen und qualitativen Interviewmaterial analysiert der Vortrag diese konfliktträchtige Produktion lokaler Gemeinschaft(en) im Spannungsfeld der Corona-Proteste und diskutiert regressive sowie resiliente Potentiale des New Localism.

Hentschel, Christine. 2021. „»Das große Erwachen«: Affekt und Narrativ in der Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen.“ Leviathan 49 (1): 62–85.

Katz, Bruce. 2018. New Localism: How cities can thrive in the age of populism. Washington, D.C. Brookings Institution Press.

Zschocke, Paul und Daniel Mullis. 2022. „Rechte Raumnahme und Performative Politik in Freiberg: Zum ›Spaziergang‹ mit den Freien Sachsen gegen die Coronapolitik.“ dérive (88): 42–48.