State-Led-Gentrification in deutschen Großstädten: Annahmen und Untersuchungsansätze
Abstract
Gentrification im Sinne einer immobilienwirtschaftlichen und sozialen Aufwertung wird seit geraumer Zeit auf den Zuzug von Menschen insbesondere in Großstädte sowie auf hohe Investitionen in Neubau und Wohnungsbestand zurückgeführt. Damit geht die Sorge vor einer Verdrängung insbesondere von einkommensschwachen Mieter*innen aus ihren Wohnungen und einer sozialen Aufwertung von Wohnquartieren einher. Neben den Rationalitäten und Verwertungslogiken der Akteure aus dem Immobilienmarkt rücken dabei immer stärker auch die wohnungs- und stadtpolitischen Aktivitäten staatlicher Akteure als mutmaßliche Ursachen dieser Prozesse in den Blick. Auf der einen Seite versucht der Staat, durch Instrumente wie Milieuschutzgebiete oder die Mietpreisbremse, die Verdrängung von Mieter*innen und Aufwertungen zu verhindern. Auf der anderen Seite fördert er beispielsweise durch Programme wie „Sozialer Zusammenhalt – Zusammenleben im Quartier gemeinsam gestalten“ (ehemals Soziale Stadt) die Entwicklung von benachteiligten und strukturschwachen Quartieren, was grundsätzlich auch deren immobilienwirtschaftlicher Aufwertung Vorschub leisten kann. Allerdings ist bislang kaum Konkretes darüber bekannt, welchen Einfluss stadtentwicklungspolitische Instrumente auf Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse haben, da es in Deutschland an empirischen Analysen hierzu fehlt.
Der Vortrag setzt an dieser Forschungslücke an und diskutiert im ersten Teil, inwiefern sich die zentralen Argumente der Debatte zur State-Led-Gentrification mit den stadtentwicklungspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland verbinden lassen. Im zweiten Teil wird ein Forschungsansatz präsentiert, mit dem wir in den kommenden Jahren empirisch untersuchen wollen, in welchem Umfang in Deutschland tatsächlich von einer State-Led-Gentrification gesprochen werden kann. Hierfür werden in einem ersten Schritt auf der Ebene von rund 1.900 Quartieren die immobilienwirtschaftliche und die soziale Aufwertung in 35 deutschen Großstädten mittels Sekundärdaten über GIS und Regressionsmodelle analysiert. Zudem wird der Einsatz politischer Interventionsinstrumente (z. B. Milieuschutz, sozialer Wohnungsbau, Städtebauförderung) in diesen Städten und Quartieren erfasst. In ausgewählten Quartieren mit einer hohen Aufwertungsdynamik sowie unterschiedlichem Instrumenteneinsatz wird anschließend durch eine standardisierte Befragung von Personen, die von einer Wohnung in den Fallstudienquartieren aus umgezogen sind, Verdrängung gemessen, um so Aussagen zur Gentrification treffen zu können. Gleichzeitig werden für dieselben Quartiere die Entscheidungsprozesse, die zum Instrumenteneinsatz geführt haben, mittels qualitativer Experteninterviews und einer Mediendiskursanalyse analysiert. Von der Zusammenführung der mit diesen Methoden gewonnenen Befunde versprechen wir uns vertiefte Einsichten hinsichtlich des Beitrags stadtpolitischer Interventionen zur Gentrification in deutschen Großstädten.