Gentrifizierung und Gentrifizierungsforschung: Aktuelle Entwicklungen, Forschungsfragen und kritische Reflexionen (2/2)
Abstract der Sitzung
Ab den 2000er Jahren haben wohnungspolitische Deregulierungen, die Privatisierung von Wohnungsbeständen sowie die Finanzkrise und die darauffolgende Niedrigzinsphase zu umfassenden Investitionen in den Immobilienstandort Deutschland geführt. Im Zusammenhang mit einer neuen Phase des Städtewachstums und der Reurbanisierung kam es zu einem deutlichen Anstieg der Wohnungsnachfrage sowie zu umfassenden Sanierungstätigkeiten, Neubauvorhaben und einem sehr dynamischen Anstieg der Wohnungsmieten und Eigentumspreise. Im Zuge einer fortschreitenden Kommodifizierung von Wohnraum entstanden zudem große institutionelle Wohnungsunternehmen, die in einigen Städten beachtliche Anteile am Mietwohnungsmarkt kontrollieren und gleichzeitig den Logiken des Finanzmarkts unterliegen. Diese Entwicklungen haben zu einer Intensivierung von Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen, aber auch zu intensiven wohnungspolitischen Debatten über die Wohnungsfrage und das „Recht auf Stadt“ geführt. In der Folge kam es bei Bund, Ländern und in vielen Städten zu einer Reihe wohnungspolitischer Interventionen. In der Forschung haben diese Entwicklungen eine Vielzahl neuer Studien initiiert, die nicht nur zum Ziel hatten, die Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse empirisch nachzuweisen, sondern auch die wissenschaftlichen Fragestellungen und Perspektiven zu erweitern.
Grundlegende Veränderungen sozialer, politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen lassen vermuten, dass es in den nächsten Jahren zu einer neuen historischen Entwicklungsphase der Gentrifizierung in deutschen Städten kommen könnte. Aktuell scheint sich in vielen Großstadtregionen der Trend Reurbanisierung in eine neue Phase der Suburbanisierung umzukehren. Zudem treffen die Intensivierung wohnungspolitischer Interventionen und Bestrebungen zur Rekommunalisierung von Wohnraum auf eine Immobilienwirtschaft, deren Finanzierungsbedingungen sich mit der Zinswende und den Baupreisanstiegen massiv verschlechtert haben. Im Gegensatz dazu gibt es politische Forderungen nach einer Verstärkung energetischer Sanierungen von Bestandsgebäuden, um damit einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. Diese Entwicklung könnten zu einer neuen „Welle“ der Gentrifizierung führen. Dafür spricht auch, dass der Wachstumstrend des Städtetourismus nach der Corona-Pandemie wieder an Fahrt gewinnt und in einigen Städten zu einer weiteren Verschränkung und Dynamisierung von Touristifizierung und Gentrifizierung führen könnte.
Vor dem Hintergrund dieser jüngeren Entwicklung sollen in der Session aktuelle Projekte und Fragen der Gentrifizierungsforschung vorgestellt und diskutiert werden. Besonders willkommen sind Vorträge zu folgenden Themen:
- Aktuellen empirischen Forschungsprojekten, die Erscheinungsformen, Ursachen und/oder Folgen der Gentrifizierung untersuchen,
- Reflexionen zu Entwicklungen, Perspektiven und Ansätzen der Gentrifizierungsforschung,
- Thesen zu aktuellen Herausforderungen und zukünftigen Erforschung von Gentrifizierung.