„Sí a la vida, No a la mina”: Sozioökologische Konflikte um Lithium am Rande Europas

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 12
Autor*innen
Felix Kolb (MLU Halle-Wittenberg)
Kurz­be­schreib­ung
Die EU-Kommission drängt im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitstransformation auf neue Minenprojekte für kritische Rohstoffe wie Lithium in Europa. Das weckt ökonomische Begehrlichkeiten, Zukunftschancen sowie umwelt- und sozialpolitischen Protest. Ein empirischer Beitrag aus der europäischen Peripherie.

Abstract

Die europäischen Bemühungen zu einer Nachhaltigkeitswende im Energie‑, Verkehrs- und Industriesektor erfordern die Beschaffung großer Mengen kritischer, postfossiler Ressourcen. Insbesondere Lithium ist für eine nachhaltige Transformation unabdingbar und zuletzt in das öffentliche wie wissenschaftliche Rampenlicht geraten. Bisher stammt das Leichtmetall mehrheitlich aus Drittländern der südlichen Hemisphäre, doch das soll sich bald ändern.

Im Zuge geopolitischer Konflikte und wachsender Unsicherheiten, überlappender Krisen sowie enormer Preissteigerungen für Lithium drängt die EU-Kommission auf die Förderung „heimischer“ Rohstoffvorkommen und unterstützt finanziell den Aufbau neuer Minen‑, Aufbereitungs- und Produktionsinfrastruktur in Europa mit Milliardensubventionen.

Die dünn besiedelte und ökonomisch schwach entwickelte Extremadura im äußersten Westen von Spanien steht im Fokus der geo- sowie wirtschaftspolitischen Bestrebungen der Kommission. Hier, in der europäischen Peripherie, sollen die größten Lithiumvorkommen des Kontinents lagern und nach dem Willen eines australischen Bergbaukonzerns und der EU-Kommission möglichst bald abgebaut werden. Die geplanten Projekte in der Provinz von Cáceres wecken jedoch wirtschaftliche Begehrlichkeiten und Entwicklungschancen sowie umwelt- und sozialpolitischen Protest zugleich. Damit werfen sich grundsätzliche Fragen hinsichtlich unseres sozio-materiellen Verhältnisses zu und Umgang mit Ressourcen auf und stellen den zukünftigen industriellen Abbau von kritischen Rohstoffen in Europa per se auf den Prüfstand. Welche Wertzuweisungen erfahren dabei die Bodenschätze der Zukunft und welche Werte gilt es bei ihrem Abbau zu berücksichtigen?

Aufbauend auf den Konzepten der Mensch-Umweltbeziehungen und der Politischen Ökologie gehe ich der Frage nach, welche nachhaltigen Aspekte und Wertegefüge im Zuge des Abbaus kritischer Ressourcen in der Extremadura diskutiert werden und inwieweit sich diese in örtlichem Protest artikulieren.

Im Mittelpunkt der Analyse stehen die sozioökologischen und multiskalaren Aushandlungen zwischen den involvierten Akteur*innen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, die sich auf divergierende Entwicklungsnarrative berufen und damit um Teilhabe, Profit und Legitimationshoheit ringen. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich – trotz mehrheitlicher Zweifel und starken Widerstands der örtlichen Bevölkerung und der Lokalregierung – die politischen Entscheidungsträger*innen im Kampf gegen den Klimawandel und mit Blick auf das historisch schwache Wirtschaftswachstum mit einer nachhaltigen Industrialisierungsstrategie einschließlich Lithiumminen, Batteriefabriken und großflächigen Fotovoltaikanlagen durchzusetzen scheinen. Der grüne Weg der Extremadura?

Vor dem Hintergrund zahlreicher neuer Minenprojekte in ganz Europa sind die Forschungsergebnisse von gesellschaftlicher Relevanz und leisten einen konzeptionellen Beitrag zur Extraktivismus- und Nachhaltigkeitsforschung.