Territorien als speziesübergreifende Multi-Layer-Räume: Vom Wissen des Zoos zu Forschungsansätzen der Kohabitation

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 10
Autor*innen
Christina Katharina May (Halle)
Anne Hölck (Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Verhaltensbasierte Raummodelle aus der Zootierhaltung können eine experimentelle Basis für Überlegungen zur Kohabitation im urbanen und ländlichen Raum bilden. Mithilfe historischer Zooplanungen von Multi-Layer Kartierungen werden sich vertikal überlagernde Territorien in Handlungsräume übersetzt.
Schlag­wörter
Territorium, Kohabitation, Zooarchitektur, Tiere, Landschaftsarchitektur

Abstract

Der Schweizer Zoologe Heini Hediger etablierte mit seinen Forschungen zum Territorium seit den 1930er Jahren die wissenschaftliche Zootierhaltung. Aus seinen Beobachtungen der Prozessualität tierlicher Räume bei Wildtieren und dem Gedanken, Tieren im Zoo einen Schutzraum vor menschlichen Eingriffen in ‚die Natur‘ zu bieten, entwickelte Hediger das Territorium als topologisches Raummodell für die architektonische Gestaltung von Gehegen und Tierhäusern. (Hediger 1942) Ausgehend von Hedigers kartografischen Entwürfen und begrifflichen Definitionen zu Tier-Territorien untersuchen die beiden Autorinnen, welche Praktiken des Mappings die Territoriologie des Zoos hervorgebracht hat und inwiefern sie Interpretationen von Raumausschnitten als Landschaft oder als ‚Heimat‘ von Tieren beeinflusst haben. Zwar entwickelte Hediger Grundlagen für verhaltensbasierte Zoogestaltung wie das Environmental Enrichment, jedoch gelang es nicht, das territoriale, topologische Raummodell konsequent in eine Planungsmethode zu überführen. (May 2016)

Mögliche Perspektiven einer solchen Entwurfsmethode, die tierliche Territorien miteinbezieht, werden im Vortrag anhand von vertikal geschichteten Multi-Layer-Visualisierungen aus der Landschaftsarchitektur Ende der 1960er Jahre vorgestellt, die komplexe Interaktionen in Natur- und Kulturräumen erfasste. (McHarg 1992; Corner 2016) Diese wurden zum Vorbild ganzheitlicher Zooplanungen ab den 1970er Jahren, die Habitate von Wildtieren bis hin zu ganzen Ökosystemen zu simulieren versuchten. (Jones, Hancocks u. Paulson 1976) Die Idee von flexiblen Multi-Layer-Territorien führt zu einem Gedankenexperiment: Wie lässt sich die anthropozentrische Vorstellung eines fest umgrenzten Containerraums für Menschen und Tiere verlassen? Eine kartografische Inversion der Sicht auf die Erde als Methode des Design Thinking entwirft ein topologisches Modell, das weder auf die Einhegung von Gebieten wie im Zoo noch auf simulierte Habitate bestimmter Spezies hinausläuft. (Aït-Touati, Arènes u. Grégoire 2022) Die adäquate Visualisierung der relationalen, territorialen Räume bleibt eine Herausforderung, um Kohabitationskonzepte in den Realraum zu übersetzen.

Literatur:

Hediger, Heini. 1942. Wildtiere in Gefangenschaft. Basel: Schwabe.

Aït-Touati, Frédérique, Alexandra Arènes und Axelle Grégoire. 2022. Terra Forma. A Book of Speculative Maps. Cambridge: MIT.

Jones, Grant, David Hancocks und Dennis Paulson. 1976. Woodland Park Zoo. Long Range Plan Development Guidelines and Exhibit Scenarios. Seattle.

McHarg, Ian. 1992. Design with Nature. New York: Wiley 1992.

Corner, James. 2016. «The Thick and the Thin of It.» In Contemporary Landscape, hrsg. v. Christophe Girot u. Dora Imhof, 117–134. New York: Princeton Architectural Press 2016.

May, Christina Katharina. 2016. «Concrete Kingdoms: Heini Hediger’s Territories at the Zurich Zoo.» In Animal Housing and Human-Animal Relations, hrsg. v. Kristian Bjørkdahl and Tone Druglitrø, 132–150. Routledge.