The Spatial Fix of Slow Violence: Über Leben und leben lassen in schimmligen Wohnungen

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
HZ 10
Autor*innen
Christoph Schemann (Universität Bayreuth)
Kurz­be­schreib­ung
Schimmelschäden sind häufig die Ursache langwieriger Baumängel und können ebenso hartnäckig von langwieriger Dauer sein, sofern keine stellenweise sehr kostspieligen, jedoch erforderlichen, Sanierungs- und/oder Rückbaumaßnahmen getroffen werden. Unter Rückgriff auf David Harveys Idee eines "Spatial Fix" räumlicher Kapitalinvestitionen sowie Rob Nixons Konzept von "Slow Violence" stelle ich in meinem Vortrag eine Fallstudie vor, in welcher Schimmel als Agent für ökonomische Kapitalinteressen nutzbar gemacht wird und infolgedessen die Bewohnerin einer ehemaligen Militärunterkunft mit baulich bedingten Schimmelschäden in ihrer Wohnung lebt.
Schlag­wörter
Urbane Politische Ökologie, Spatial Fix, Slow Violence

Abstract

David Harveys (1981) prominenter Begriff eines “Spatial Fix” städtischer Kapitalinvestitionen in der urbanen ökonomischen Landschaft kann sowohl in Bezug auf eine räumliche Fixierung als auch in Bezug auf eine mögliche Lösung etwaiger Kapitalzirkulationen mit der materiellen Fixierung von Schimmelpilzen in und an Gebäuden in Verbindung gebracht werden. Diese beiden Formen von “Fixierungen” können in gewisser Weise analog zueinander verstanden werden. Wie die räumliche Fixierung von Kapital in Städten ermöglicht die räumliche Fixierung von Schimmelpilzsporen in einer Kolonie nicht nur eine (vorläufige) Minderung von Kapitalwerten, sondern ebenso die Generierung von neuen Investitionsmöglichkeiten. Die beiden semantischen Verwendungen dieser Metapher sind jedoch nicht streng parallel: Schimmel “zahlt keinen Preis“ für seine Fixierung an Ort und Stelle in dem Sinne, wie die Fixierung des Kapitals schließlich zu einem Niveau der Mehrwertgenerierung führt, das unter dem liegt, was anderswo erreicht werden könnte. Die beiden Arten der räumlichen Fixierung können jedoch in dem Sinne zueinander artikuliert werden, dass eine Verhärtung von Schimmelpilzschäden durch ihre räumliche Fixierung die Entwertung von Eigentum beschleunigen und damit das Problem lösen kann, das dem Kapital wiederum durch seine eigene räumliche Fixierung in der gebauten Umwelt gestellt wird. In bestimmten Fällen kann durch diese miteinander verbundenen Mechanismen implizit Druck etwa auf “renitente” MieterInnen aufgebaut werden, ihre Wohnungen “frei zu machen”.

Schimmelschäden sind häufig die Ursache fortwährender Baumängel und damit nicht in allen Fällen selbstverschuldet (etwa durch mangelhaftes Lüften). Solche baulichen Mängel und ihre Folgen können von langwieriger Dauer sein, sofern keine stellenweise sehr kostspieligen, jedoch erforderlichen, Sanierungs- und/oder Rückbaumaßnahmen getroffen werden. Wo dies nicht der Fall ist, Verantwortlichkeiten strategisch zurückgewiesen und/oder diffundiert werden, seitens der Mietparteien etwaige Mängel (und insbesondere deren Kosten) nicht selbst behoben und getragen werden können und ein Umzug aus verschiedenen Gründen nicht sofort als vermeintlich logische Konsequenz in Betracht gezogen wird, lässt sich unter Rückgriff auf Rob Nixon (2013) und Thom Davies (2018, 2019) von einer besonderen Form von “Slow Violence” sprechen. Vereinfacht gesagt bezieht sich das Konzept dabei grundlegend auf die zeit-räumliche Dimension von ungleichverteilten Schadstoffexpositionen verschiedenster Art gegenüber bestimmten häufig benachteiligten Bevölkerungsgruppen.

In meinem Vortrag werde ich eine Fallstudie vorstellen, in welcher Schimmel indirekt als Agent für ökonomische Kapitalinteressen nutzbar gemacht wird und infolgedessen die Bewohnerin einer ehemaligen Militärunterkunft mit baulich bedingten Schimmelschäden in ihrer Wohnung lebt, wodurch es zu einer kritischen Verquickung eines “Spatial Fix” mit “Slow Violence” kommt.