Tourismus macht Marrakech

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 15
Autor*innen
Sandra Petermann (JGU Mainz)
Anton Escher (JGU Mainz)
Kurz­be­schreib­ung
Sowohl das französische Protektorat als auch der marokkanische König Mohammed VI richteten durch strategische Maßnahmen Marrakech auf den globalen Tourismus aus. Die umfassende touristische Transformation der Stadt beeinflusst erheblich die physische Umwelt und marokkanische Bevölkerung.
Schlag­wörter
Marrakech, Stadtentwicklung, Touristische Transformation, Neoliberalismus, (Neo)Kolonialismus

Abstract

In Marrakech herrscht überwiegend ein für Europäer angenehmes semiarides Klima mit mediterranen Aspekten im Winter und ariden Auswirkungen im Sommer. Bereits zu Beginn der französischen Protektoratszeit begann die strategische Planung und der Ausbau von Marrakech als Destination zur Überwinterung (Hivernage) für die gehobene europäische Gesellschaft mit Bahn- und Busanschluss nach Casablanca. Hier entstanden Hotelanlagen und Casino, im Umland Infrastruktur für Golf und Ski, welche durch Aktiengesellschaften finanziert wurden. Außerdem wurde die mittelalterliche Medina zur Besichtigung beworben. Der Tourismusboom nach dem Zweiten Weltkrieg war dem internationalen Jetset und den Hippies geschuldet und wurde später befördert durch die Ernennung der Medina im Jahr 1985 und des Platzes Djemaa el Fna im Jahr 2001 zum UNESCO-Welterbe. Nach der Thronbesteigung durch Mohammed VI, der Marrakech als seine Königsstadt wählte, erfuhr die Stadt nach 1999 weitere Impulse für den Tourismus. Die (touristische) Infrastruktur der Stadt wurde beispielsweise durch zahlreiche Spaßbäder, Hotelanlagen und Golfplätze massiv ausgebaut und eine Festivalisierung der Stadt (z. B. „Festival International du Film de Marrakech“) vorangetrieben. Seitdem kaufen sich vornehmlich Investor*innen aus dem Globalen Norden aber auch den Golfstaaten in die Medina und in die landwirtschaftliche Umgebung ein. Die Transformation der Altstadt ist bis heute grundlegend: Wohnhäuser werden in postmoderne Wohnpaläste, Gästehäuser mit Swimmingpool, Restaurants, Wellness-Tempel, Traveller-Hotels und Basar-Komplexe für internationale Tourist*innen transformiert. Große Bereiche der landwirtschaftlichen Flächen werden zum Bau privater Wohnhäuser, ausgedehnter Ferienanlagen und internationaler Hotelkomplexe aufgegeben. Auch die Erneuerung und Neugestaltung von Gärten und Museen nimmt kein Ende. Diese Entwicklungen bleiben nicht folgenlos für die Stadtgesellschaft, Landwirtschaft und Umwelt.

Basierend auf einer qualitativen Langzeitstudie in den letzten rund 25 Jahren legt der Vortrag dar, wie und wodurch sich Marrakech in den letzten 100 Jahren von der lokalen Provinzhauptstadt zur globalen Tourismusmetropole gewandelt hat und zielt darauf ab, die massive Transformation der Stadt Marrakech durch den globalen Tourismus und (inter)nationales Kapital und deren facettenreiche Effekte vor Ort aufzuzeigen.

Escher, A., S. Petermann und G. Arnold (2018): Das neue Marrakech – eine Materialisierung des Mythos von Tausendundeiner Nacht? In: Geographische Rundschau 7/8: 52-57.

Escher, A. und S. Petermann (2014): Marrakech Medina. Neocolonial paradise for lifestyle migrants? In: Janoschka, M. und H. Haas (Hrsg.) (2014): Contested Spatialities, Lifestyle Migration and Residential Tourism. Contemporary Geographies of Leisure, Tourism and Mobility. London: 29-46.

Escher, A. und S. Petermann (2009): Tausendundein Fremder im Paradies? Ausländer in der Medina von Marrakech. Würzburg.