(Un-)Sicherheit in Singapur: Zwischen staatlicher Versicherheitlichung und dem Streben nach Handlungsmacht

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
SH 1.104
Autor*innen
Janina Dobrusskin (TU Dresden)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag betrachtet, wie (Un-)Sicherheit in Singapur subjektiv erlebt und verhandelt wird, zwischen der staatlichen Herstellung von Sicherheit und dem individuellen Streben nach Handlungsmacht.

Abstract

Singapur gilt als eine der sichersten Städte der Welt, was die Regierung mit Rückgriff auf Vorschriften und Überwachung eifrig vorantreibt. Diese staatlich hergestellte Sicherheit wird aber nicht von allen ihren Bewohner:innen als sicher empfunden; vor allem dann nicht, wenn die Handlungsmacht der Menschen eingeschränkt wird. Dies führt zu der Frage: Wie wird (Un‑)Sicherheit in Singapur subjektiv erlebt und verhandelt zwischen der staatlichen Herstellung von Sicherheit und dem Streben nach Handlungsmacht?

In 60 Interviews mit der Methode der Foto-Elizitation hat eine diverse Stichprobe der Bevölkerung Singapurs (in Bezug auf Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und sozioökonomische Herkunft) affektive Antworten auf das alltägliche subjektive Erleben von (Un‑)Sicherheit in Singapur gegeben.

Zwei konzeptionelle Schritte wurden für die Analyse herangezogen: Zum einen die Differenzierung von Gefühlen von (Un‑)Sicherheit und zum anderen eine Sensibilität für eine intersektionale Perspektive. (Un‑)Sicherheit lässt sich in eine Dimension der körperlichen Unversehrtheit, in eine stabile soziale Situation und ein stabiles Selbst (= ontologische (Un‑)Sicherheit) aufgliedern. Auf dieser Konzeptualisierung aufbauend zeigt die Analyse, dass sich [1] die Wahrnehmung von staatlich angestrebter Sicherheit in Singapur auf die körperliche Unversehrtheit konzentriert, aber zusätzlich einen starken Einfluss auf das Gefühl einer stabilen sozialen Situation und auf die ontologische (Un‑)Sicherheit von Personen hat. Darüber hinaus wird deutlich, dass [2] Vorschriften und Überwachung in das Verhalten, die Erscheinung und die verkörperten Praktiken der Menschen eingeschrieben sind. Dadurch hat die staatliche Versicherheitlichung in Singapur auch einen deutlichen Einfluss auf die Erfahrungen von empfundener bzw. beschränkter Handlungsmacht im Alltag ihrer Bewohner:innen. Schließlich hilft die Sensibilität für eine intersektionale Perspektive, als zweiter Schritt der Analyse, aufzuzeigen, dass [3] staatliche Bestrebungen der Versicherheitlichung zu partiellen Erfahrungen der Ermöglichung oder Beschränkung von Handlungsmacht für dasselbe Individuum – in Bezug auf bestimmte Identitätsmerkmale – führen können. Dies erlaubt einen Rückschluss darauf, dass das Verhältnis von ontologischer (Un‑)Sicherheit und Handlungsmacht in ständiger situativer Aushandlung ist und nicht das eine Voraussetzung für das andere ist.