Geographie und Staatsangehörigkeit: Aktuelle und historische Perspektiven
Abstract der Sitzung
Staatsangehörigkeit als politisches Prinzip durchzieht und strukturiert die gesamte Gesellschaft. Dabei bleibt oft unsichtbar, dass es ein relativ modernes Konzept ist, welches im Rahmen spezifischer gesellschafticher Kontexte entstanden und dabei auch in entsprechende räumliche Konfigurationen eingebunden ist. Weil es das staatsrechtliche Monopol ist, formale Staatsangehörigkeit zu erteilen (und entziehen), wirken derlei gesellschaftliche Konstruktionen starr und unveränderlich. Gleichwohl wird mit Blick auf historische und aktuelle Aushandlungsprozesse deutlich, dass es sich um ein relationales und aufgeladenes Konstrukt handelt, das stark umkämpft ist und in rechtlichen, politischen und alltäglichen Praktiken permanent (re)produziert oder verändert wird.
Das Thema schließt in der Geographie an unterschiedliche Debatten an. Innerhalb der Rechtsgeographien werden sozialpolitische und ethische Fragen um die Rechtsbeziehung zwischen Individuum und Staatsstruktur debattiert: Die in vielen Nationalstaaten wachsende Kluft zwischen der de facto und de jure Bevölkerung wirft repräsentative, rechtliche und ethische Fragen auf. Bei der Reflexion über solche Fragen wird deutlich, dass Aushandlungsprozesse um Staatsangehörigkeit häufig an die Problematisierung bestimmter Formen von Mobilität geknüpft sind. Mit der Frage nach Citizenship wird der Fokus auf Aushandlungen von Teilhabe auch jenseits formaler Mitgliedschaft gerichtet. Konzepte wie Sanctuary Cities, radikaler Munizipalismus oder Urban Citizenship zeugen von vielfältigen, oft urban verankerten Hinterfragungen der Rolle des Staats. In neueren Debatten um Nationalismus und Nation rücken alltägliche Praktiken und Affekte in den Vordergrund, durch die die Zugehörigkeit zu einem Staat konstituiert wird.
Die Fachsitzung soll Raum bieten für Diskussionen über die vielfältigen Möglichkeiten, Raum und Staatsangehörigkeit zusammenzudenken. Beiträge können sich beispielsweise mit den folgenden Fragen beschäftigen und dabei sowohl konzeptioneller als auch empirischer Art sein:
- Welche historisch-geographischen Aspekte prägen unser aktuelles Verständnis von Staatsangehörigkeit? Was sind signifikante Beispiele für historische Kämpfe in diesem Zusammenhang?
- Wie wird Staatsangehörigkeit in Rechtskämpfen verhandelt? Inwiefern tragen diese zu einer Veränderung von Staatsangehörigkeit bei?
- Welche Aushandlungsprozesse finden aktuell um Staatsangehörigkeit statt? Wer kann sich in solche Aushandlungen einbringen und welche Ausschlüsse werden praktiziert?
- Wie wird Staatsangehörigkeit im Alltag, z.B. durch Praktiken des Bordering reproduziert? Wo formieren sich Widerstände? Welche alternativen Konzepte gibt es, die formale Staatsangehörigkeit herausfordern?
- Welche Fragestellungen werden durch eine internationale, transnationale oder multiskalare Betrachtung des Themas aufgeworfen?