Verantwortung für Wohnraum: Zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums in Zeiten der Finanzialisierung

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 2.109
Autor*innen
Hanna Hilbrandt (Universität Zürich)
Kurz­be­schreib­ung
In diesem Beitrag diskutiere ich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Kontext der Finanzialisierung von Wohnraum. Aus Perspektive der Legal Geography frage ich, wie sich Verantwortungsbeziehungen für Wohnraum in diesem Kontext verschieben.

Abstract

Die Übernahme grosser Teile der (Miet‑)Wohnungsbestände Europäischer Städte durch institutionelle Investor*innen hat Fragen nach der staatlichen Verantwortung für die Wohnraumversorgung neu gestellt. Diese Fragen haben wichtige Debatten darüber, wer, wie und für wen Wohnraum bauen oder schützen soll angeregt. Jedoch fehlt diesen Diskussionen eine theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit dem Verantwortungsbegriff. Eine solche Auseinandersetzung – so die These dieses Beitrags – könnte die vielfältigen Modalitäten und Praktiken der Verantwortungsübernahme differenzieren und ein Verständnis davon erweitern, wie Finanzialisierungsprozesse die Verantwortungsbeziehungen von Eigentumsregimen beeinflussen.

In diesem Beitrag diskutiere ich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Kontext der Finanzialisierung von Wohnraum aus Perspektive der Legal Geography (Blomley 2013, 2022). Das deutsche Grundgesetz (Art 14) regelt, dass Eigentümer*innen für ihr Eigentum verantwortlich sind. In der Praxis ist diese Verantwortungsbeziehung jedoch weder klar definiert noch rechtlich einklagbar. Darüber hinaus erschweren Finanzialisierungsprozesse – durch die Verantwortlichkeiten verkauft, verbrieft und so regelmäßig verschoben werden – eine eindeutige Zuordnung von Verantwortlichkeit, und damit auch die Kluft zwischen handelnden und verantwortlichen Akteuren (Heidbrink 2017, 7). Verantwortungsbeziehungen der Eigentümer*innen gegenüber ihren Mietenden geraten in Konkurrenz mit ihren Verantwortungen am Finanzmarkt. Gleichzeitig beobachten wir, dass Mietende Verantwortung der Eigentümer*innen übernehmen, wenn diese sich nicht einfordern lassen (Hilbrandt & Dimitrakou, 2022). Wie also erfordert die Finanzialisierung von Eigentum Verantwortungsbeziehungen neu zu denken? Und wie lässt sich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums so konzeptualisieren, dass sie politisch nutzbar wird, um die Verantwortung der Eigentümer*innen gegenüber den Mietenden zu stärken?