"Welcome back Sozialismus?" Eine Analyse des öffentlichen Diskurses um aktuelle Enteignungsforderungen von Wohnraum

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 6
Autor*innen
Julie Kuschel (Universität Hamburg)
Allan Sandham (Universität Hamburg)
Kurz­be­schreib­ung
Das Projekt untersucht, wie Forderungen nach Vergesellschaftung in der Öffentlichkeit diskursiv verhandelt werden. Als Datenmaterial dienen 1.467 Presseartikel deutscher Zeitungen anhand derer analysiert werden kann, welche Themen innerhalb des Diskurses auftreten und wie diese verhandelt werden.

Abstract

Spätestens seit dem Berliner Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne im Jahr 2021 wird die Forderung nach Vergesellschaftung von Privateigentum in einer breiten Öffentlichkeit verhandelt. Neben der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen treten heute beispielsweise durch RWE & Co. enteignen auch Forderungen nach der Vergesellschaftung von Energiekonzernen zutage. Bei diesen Ansinnen gehen die Meinungen hinsichtlich der Frage nach der Möglichkeit und Gerechtigkeit der Umsetzung von Vergesellschaftungen in politischen und rechtlichen Diskussionen auseinander. Die Diskurse bleiben bis heute ein Spannungsfeld gesellschaftlicher Aushandlungen – auch, da der Paragraph 15 des Grundgesetzes, welcher die Möglichkeit von Vergesellschaftungen einräumt, in der Rechtspraxis bisher keinerlei Anwendung fand (Biatel 2019). Anhand der Betrachtung von 1.467 Presseartikeln wird in diesem Projekt mittels des Blended Reading Ansatzes (Stulpe und Lemke 2016) untersucht, wie Vergesellschaftungsforderungen in der Öffentlichkeit diskursiv verhandelt werden. Die Presse sehen wir dabei als zentralen Bestandteil der Öffentlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft, da dort Ideen präsentiert, ausgetauscht, diskutiert und bewertet werden (Waitkus und Wallaschek 2022). Durch ein Topic Modelling wird betrachtet, welche thematischen Schwerpunkte in der deutschen Presse zum Thema Vergesellschaftung aktuell bestehen. Diese Analyse wird durch eine qualitative Inhaltsanalyse selektierter Artikel ergänzt, die Aufschluss darüber geben soll, wie die Schwerpunkte verhandelt werden. Wir betrachten, dass der Diskurs um Eigentum an bestimmten Gütern nicht länger als ein Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt verstanden, sondern als ein zentrales gesellschaftliches Ordnungsprinzip ausgehandelt wird (Carruthers und Ariovich 2004, Jing et al. 2022). In dieser Aushandlung werden auch Fragen nach der Sozialpflichtigkeit von Eigentum aufgeworfen, die mit marktorientiertem Gewinnstreben von Großkonzernen kaum noch in Einklang zu bringen sind. So deutet der Konflikt hinsichtlich der Überführung von Privat- in Gemeineigentum auf verschiedenen Ebenen auf eine Veränderung von Praktiken hin, welche eine fundamentale Infragestellung von institutionell gesicherten Eigentumsprimaten hervorbringen. Der Beitrag soll Aufschluss über gegenwärtige Veränderungen der Eigentumsordnung in einer spätkapitalistischen Gesellschaft geben. Wir bedienen somit den interdisziplinären Diskurs um einen Strukturwandel des Eigentums durch die Fokussierung auf eine zentrale Forschungslücke hinsichtlich der Aushandlung der Legitimität von Eigentum an Gütern, die grundlegende menschliche Bedürfnisse betreffen.