Viehhaltende Betriebe als inkumbente Akteure in Nachhaltigkeitstransitionen: Empirische Facetten aus Rotenburg (Wümme)

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 8
Autor*innen
Jonathan Friedrich (Leibnitz Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF))
Jana Zscheischler (Universität Vechta; Leibnitz Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF))
Kurz­be­schreib­ung
Inkumbente Akteure und ihre Rolle für Nachhaltigkeitstransitionen haben in der Landwirtschaft bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen. Auf Basis einer qualitativen Fallstudie in der Viehhaltung zeigt unser Beitrag, dass diese Betriebe eine eher begrenzte Fähigkeit haben, zu endogenem institutionellem Wandel beizutragen.

Abstract

Inkumbente Akteure werden meist als dominante und etablierte Akteure in bestehenden Regimestrukturen beschrieben. Ihre Rolle für die Dynamik von Nachhaltigkeitstransitionen, insbesondere für den Bereich der Landwirtschaft, ist bisher wenig untersucht. Wir ergänzen dies mit einem Fall von inkumbenten Akteuren in der deutschen Viehhaltung, die ein wichtiger Schauplatz von sozial-ökologischen Problemen (z.B. Methanemissionen, Eutrophierung) und stabilen und persistierende (extra‑)semiotischen Strukturen ist. Diese Strukturen und Mechanismen, wie z. B. finanzielle Verpflichtungen und versunkene Kosten auf individueller Ebene, oder die Reproduktion bestehender Vorstellungen über die Zukunft auf kollektiver Ebene, können Hindernisse für Transitionen darstellen. Viehhaltende Betriebe als inkumbente Akteure sind dabei in diese Regimestrukturen eingebettet. Wir untersuchen die Rolle dieser Akteure im Kontext von Nachhaltigkeitstransitionen in der Viehhaltung mit einem Fokus auf ihre Fähigkeit, zu endogenem institutionellem Wandel beizutragen. Wir konzeptualisieren diesen Wandel aus einem Akteurs- und Agency-orientierten Fokus, den wir durch eine qualitative Fallstudie mit viehhaltenden Betrieben in der Region Rotenburg (Wümme) operationalisieren. Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese Landwirt*innen gerade zahlreiche Herausforderungen wahrnehmen. Bei der Bewältigung ebendieser stützen sie sich überwiegend auf Routinen und verstehen die unsichere Situation durch normative Urteile. Gleichzeitig externalisieren sie den Ort des Wandels auf andere Akteure (z.B. Politikakteure) und klammern den eigenen Handlungsspielraum aus. Dies zeigt eine geringe Wahrscheinlichkeit für endogenen institutionellen Wandel und dass dieser, wenn überhaupt, ein Ergebnis kumulativen Handelns von autonomen Akteuren wäre. Unsere Studie zeigt aber auch kontrastierende Beispiele. Dies betrifft Akteure, die bestehende institutionalisierte Praktiken stören und damit zu einem institutionellen Wandel in der Viehwirtschaft beitragen könnten. Auf Basis dieser Ergebnisse erörtern wir die eingebettete und ambivalente Rolle von viehhaltenden Betrieben in Prozessen des institutionellen Wandels und diskutieren die Gründe für die Erhaltung des Status quo. Wir wollen diesen Beitrag nutzen, um auf Basis unserer Ergebnisse mögliche Wege zu institutionellem Wandel in der Viehhaltung zu skizzieren. Diesbezüglich sehen wir großes Potenzial in der Zusammenarbeit von regionalen Politikakteuren und „Change Agents“ mit Landwirt*innen, um echte Alternativen für die Entwicklung der Betriebe zu identifizieren. Dies kann diese Betriebe unterstützen, Ihren eigenen Handlungsspielraum zu erfahren und ihnen demnach helfen, eine selbstbestimmte Transition zu ermöglichen. Wir kommen zu dem Fazit, dass dies nicht nur die Kraft hat, bestehende nicht-nachhaltige institutionelle Praktiken zu verändern, sondern auch das Potenzial für die Abmilderung politisch-ökonomischer Folgen von Transitionen in der Viehhaltung bietet.