Visuelle Methoden für eine postkoloniale Analyse von materiellen urbanen Infrastrukturen
Abstract
Postkoloniale Perspektiven haben Eingang in die sozial- und kulturgeographische Forschung gefunden. Dies betrifft nicht nur die Dekolonialisierung von theoretischen Ansätzen, sondern auch Fragen zu Methoden der Wissensproduktion und -vermittlung.
Für das Anliegen, das Fortwirken kolonial geprägter Machtverhältnisse in Hafenstädten räumlich zu analysieren, gibt es keine etablierten methodischen Ansätze. Für dieses Forschungsinteresse entwickle ich im Rahmen meiner Dissertation ein eigenes Methodenset, um Kolonialität (Quijano 2000; Ha 2017) in der urbanen Siedlungsinfrastruktur zu visualisieren. Am Fallbeispiel Hafen-Ost in Flensburg zeige ich im Kurzvortrag, welche Potenziale sich aus der Visualisierung und der Analyse von Kolonialität in urbanen Transformationen ergeben. Die Fallstudie beinhaltet eine räumlich-historische Analyse der kolonialen Strukturen in den urbanen Transformationen der heutigen Konversionsflächen des Hafens. Die analysierte Materialität umfasst dabei sowohl die physische Dimension der Siedlungsinfrastruktur als auch deren diskursive Dimension mit Identitätsstiftung und Erinnerungskultur. Auf der Grundlage historischer Karten, Fotografien und Archivdokumente sowie der Materialität des Ortes wird eine multimethodische und multiskalare Ausarbeitung vorgenommen. Dabei werden lokale und globale Geschichtsdarstellungen mit den räumlichen Veränderungen der Siedlungsinfrastruktur verknüpft. Eine vergleichende, georeferenzierte Kartenarbeit, kombiniert mit historischen und aktuellen Fotografien und ergänzt um eine textlichen Ausarbeitung von fünf raumhistorischen Phasen, stellt die urbanen Transformationen des Gebietes dar. Diese lassen sich entlang lokaler und globaler Veränderungen in der Geopolitik, der Kolonisierung als Macht- und Ausbeutungssystem sowie entlang des Wandels der Energiequellen (von Wind/Wasser über fossil bis postfossil) nachzeichnen. Die Analyse verdeutlicht, dass über 300 Jahre Kolonialgeschichte bis heute in der Materialität des Hafen-Ost eingeschrieben sind und fortbestehen. Diese materiellen Spuren sind strukturell, sie lassen sich an der Uferlinie, der Morphologie des Geländes, den Gebäuden und den (Spuren von) Mobilitätsinfrastrukturen ablesen. Die Kolonialität prägt die Siedlungsstruktur bis heute und wird durch die Foto- und Kartenarbeit raumzeitlich verortet und sichtbar. Die vorgestellte interdisziplinäre Methode ermöglicht somit (im Gegensatz zu einer punktuellen) eine strukturelle Analyse des Fortwirkens von Kolonialismus in der Materialität der Stadt. Sie zeigt außerdem, wie qualitative Geographie an der Schnittstelle von postkolonialen Studien, Transformations- und Stadtforschung visuell und multiskalar arbeiten kann.