Vom Raum ausgehend: Die Straßenecke als exponierter Ort in marginalisierten Nachbarschaften

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
HZ 14
Autor*innen
Cosima Werner (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)
Kurz­be­schreib­ung
Straßenecken in den USA waren einst wichtige Zentren für Geschäfte, aber in der automobilen Gesellschaft haben sie an Bedeutung verloren. In marginalisierten Nachbarschaften spielen Straßenecken jedoch eine wichtige Rolle als Orte für Versorgung, informelle Ökonomie und milieubezogene Praktiken. Die Analyse und Interpretation von Straßenecken in marginalisierten Stadtquartieren erfordert daher ein Verständnis für die materiellen und räumlichen Aspekte sowie für soziale Praktiken und Erfahrungen.
Schlag­wörter
Straßenecke, marginalisierte Nachbarschaften, Praktiken, Milieu

Abstract

Im schachbrettartigen Muster US-amerikanischer Straßensysteme sind Straßenkorridore lineare Einkaufszentren der automobilen Gesellschaft. Die zahlreichen Straßenecken, die in einem solchen System entstehen, verändern dort jedoch ihre raumplanerische Zentralität. In der Regel zeigt sich in städtischen Räumen die architektonische Besonderheit der Eckgebäude, die sich oft von den umliegenden Gebäuden abheben. Sie sind präferierte Geschäftsadressen in meist repräsentativen Gebäuden. Die Zentralität einer Straßenecke kann daher durch die dort ansässigen Institutionen und Geschäfte definiert werden. Allerdings ist die Bedeutung der Straßenecke in der automobilen Gesellschaft unter die Räder gekommen. Sollte die Straßenecke von sozio-räumlicher Bedeutung sein, verharrt sie bestenfalls als heruntergekommenes punktuelles Zentrum in marginalisierten Nachbarschaften, wo Ladenleerstand die „Commercial Corridors“ säumen und große Teile der Bewohnerschaft von der automobilen Gesellschaft exkludiert sind.

Die physische Beschaffenheit der Straßenecke in marginalisierten Nachbarschaften ist auch ein planerisch gestalteter Raum, der in Praktiken der städtischen Versorgung, Nahversorgung und informellen Ökonomie eingebunden ist. Bushaltestellen, Corner Stores und informelle Ökonomie sind wichtige Elemente dieser Praktiken und machen die Straßenecke zur Agora der Nachbarschaft. Hinzu kommen Praktiken, die umgangssprachliche im Begriff „cornern“ zusammengefasst werden. Cornern umfasst eine Vielzahl von milieubezogenen Praktiken, die innerhalb der Nachbarschaften als „gang banging“ oder „hustling“ gefasst werden. Die Straßenecke ist weder ein Containerraum, noch in essentialistischer Weise fassbar, noch dient sie einer Kulturalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, auch wenn Anderson (1978) also auch Thompson Summers (2019) Straßenecken in Stadtquartieren mit hohen Anteilen Afro-Amerikanischer Bevölkerung in Bezug zu „Black Geographies“ oder „Blackkness“ (Shabazz 2015) setzen. Diese Orte sind auch Aushandlungsorte für milieubezogene Praktiken und dienen oft als Orte der Kontrolle, Maßregelung und der Machtdemonstration. Die räumliche Gestaltung und physische Beschaffenheit der Straßenecken spielen daher eine wichtige Rolle bei der Analyse und Interpretation dieser sozialen Phänomene.

Anhand des Beispiels der Straßenecke in marginalisierten Stadtquartieren zeigt sich, dass Raum nicht als abstraktes Konstrukt betrachtet werden kann, das rein von sozialen und kulturellen Faktoren geprägt wird. Der materielle und räumliche Aspekt von Alltagsphänomenen, wie sie sich an der Straßenecke nachweisen lassen, bezeugen die Wichtigkeit von Raumkonzepten in der Geographie, die die physisch-materiellen Arrangements ebenso ernst nehmen, wie ihre soziale Konstituierung durch Praktiken, Wahrnehmungen und Erfahrungen.