Walking the Balkan Route: Die (Ko)Produktion und (Re)Konfiguration von europäischen Grenzräumen
Abstract
Staatliche Institutionen und Akteure der Grenzsicherung entlang der Balkanroute bedienen sich verschiedenen Formen der Kontrolle und nutzen dabei unterschiedliche Praktiken und (Natur)Elemente zur „Sicherung“ von Grenzräumen. Die zunehmende Kontrolle und Abschottung materialisiert sich dabei durch verschiedene Verbauungsmaßnahmen (z. B. Mauern, Zäune, Gräben, Türme, Camps), aber auch in der zunehmenden Bedeutung von Naturräumen. Schutzsuchende werden in diese „grünen Grenzräume“ gedrängt, um den staatlich organisierten Gewalt- und Immobilisierungsstrategien zu entgehen. Die Rolle der staatlichen Gewalt an den EU-Außengrenzen wird dabei durch eine Reihe elementarer „Naturgewalten“ abgelöst, die sich unter anderem aus der Geländebeschaffenheit (abgelegene Wald- und Bergregionen in der freien Natur), Witterungsbedingungen (z. B. extreme Kälte, Schneefall), Wildtieren oder auch natürlichen Barrieren (z. B. Flüsse) konstituieren. Verbauungsmaßahmen und „grüne Grenzräume“ sind zusätzlich durch hochtechnisierte Formen der Kontrolle (Überwachungstechnologie) geprägt. Hinzu kommen staatlich organisierte (Ketten‑)Pushbacks, die ein zentrales strategisches Element europäischer Grenzräume darstellen und diese zu einem Raum der permanenten Bedrohung werden lassen.
Neben den zunehmenden Formen der Kontrolle und Überwachung sind die Grenzräume entlang der Balkanroute aber auch durch unterschiedliche Praktiken und (Im)Mobilitäten von Schutzsuchenden geprägt, die versuchen, diese Grenzräume zu überwinden. Überwindung kann in diesem Zusammenhang auch bedeuten, darin erzwungenermaßen zu verweilen oder zu zirkulieren, bis sich eine geeignete Gelegenheit bietet. Hierbei spielen (trans)lokale Netzwerke, der Betrieb von informellen Infrastrukturen, freiwillige Helfer*innen und migrationsindustrielle Dienstleistungen eine entscheidende Rolle. Diese führen in ihrer Gesamtheit dazu, den Grenzraum entlang der Balkanroute trotz der offiziellen Schließung im Jahr 2016 informell offen zu halten.
Europäische Grenzräume entlang der Balkanroute befinden sich demnach – so das zentrale Argument des Beitrags – in permanenten und transformativen Aushandlungsprozessen, die sich im konstitutiven Verhältnis zwischen Migrationsbewegungen und den Versuchen ihrer Kontrolle ausdrücken. Die (Re)Produktion und (Re)Konfiguration dieser Grenz(ziehung)en wird dabei maßgeblich durch das höchst ungerechte globale Mobilitätsregime und restriktive (europäische) Grenzregime verursacht. Dabei bilden Migrationsbewegungen und die Autonomie von Migration den analytischen Ausgangspunkt meiner Forschung. Der Beitrag stützt sich auf drei Forschungsaufenthalte zwischen 2020 und 2023 an den EU-Außengrenzen in Bosnien und Serbien, bei denen verschiedene qualitative und (auto)ethnographische Forschungsmethoden angewandt wurden.