Wer braucht noch den Campus? Studentische Mobilitätsmuster als Indikatoren zur Beurteilung der Nachhaltigkeitspotenziale virtueller Lehrformate

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 2.105
Autor*innen
Christopher Jutz (Hochschule Osnabrück)
Kai-Michael Griese (Hochschule Osnabrück)
Karsten Morisse (Hochschule Osnabrück)
Kurz­be­schreib­ung
Durch Onlinelehre können Pendelverkehren vermieden werden. Die Untersuchung studentischer Mobilitätsmuster kann Aufschluss darüber geben, welche Bildungsbedürfnisse bestehen, in welchem Umfang Präsenz am Campus weiterhin notwendig ist und welche Rolle virtuelle Lehre zukünftig spielen kann.

Abstract

Seit der COVID-19-Pandemie verändert sich nicht nur die Arbeit im beruflichen Kontext, auch die Hochschulwelt ist im Wandel begriffen. War bis dato die körperliche Kopräsenz von Studierenden und Lehrenden an den meisten Hochschulen eine Grundvoraussetzung für das Studium, wurde während der „Corona-Semester“ deutlich, dass eine Verlagerung weiter Teile des Hochschulbetriebs in den virtuellen Raum möglich ist. Hochschulbildung ist also nicht mehr zwangsläufig an den Campus gebunden.

Neben einer potenziellen Reduktion von verkehrsbedingten CO2-Emissionen wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Flexibilisierung des Studiums sowie der Abbau von Zugangshürden zu akademischer Bildung diskutiert. Mittels virtueller Lehre könne auf hochindividualisierte Lebensmodelle reagiert und ein lebenslanges Lernen ermöglicht werden. Die Hochschulen wiederum könnten für den Lehrbetrieb vorgehaltene Flächen anderweitig nutzen und so Unterhaltungskosten senken. Die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen.

Jedoch hat sich während der Pandemie auch die Kehrseite der Onlinelehre gezeigt: Studierende wie Lehrende haben das Emergency Remote Teaching teilweise als starke Belastung empfunden. Die gesunkenen Zufriedenheitswerte vieler Studierender während der Pandemie können als Indiz dafür gewertet werden, dass zumindest bestimmte Gruppen weiterhin das Bedürfnis nach physischer Kopräsenz haben.

Mobilität dient in der Regel der Bedürfniserfüllung. Eine Analyse der hochschulbezogenen Mobilitätsmuster von Studierenden verspricht daher Erkenntnisse darüber, welche Bedürfnisse und Motivationen der Präsenz am Campus zugrunde liegen und beim Einsatz von virtuellen Lehrmodellen künftig berücksichtigt werden müssen.

Im Rahmen des Forschungsprojekts EN ROUTE der Hochschule Osnabrück wurden anhand von halbstrukturierten Interviews sowie Daten aus Mobilitätstagebüchern die Mobilitäts- und Wohnmuster von Studierenden analysiert und mit Fragen zum Studium und individuellen Lernbedürfnissen in Verbindung gebracht (n=26, Erhebungszeitraum 06/22-11/22).

Insgesamt lassen sich 6 verschiedene Typen von Studierenden identifizieren, die sich hinsichtlich ihrer (Lern‑)Bedürfnisse und den daraus resultierenden Mobilitätsmustern unterscheiden. Die hochschulbezogene Mobilität hängt vorrangig von den jeweiligen Studienzielen, dem sozialen Umfeld und den Lernpräferenzen ab. Hierdurch werden etwa die Wohnstandortwahl und die Häufigkeit der Anwesenheit am Campus beeinflusst. Im Ergebnis lässt die Typologie Rückschlüsse auf geographische Fragestellungen wie etwa die Entwicklung von Wohnungsnachfrage und Pendelverkehren zu. Trotz des Fokus auf Studierende lassen sich auch Erkenntnisse für die Arbeitswelt gewinnen.

Kritisch betrachtet wirft die Typologie die Frage auf, wie unterschiedliche, teilweise konkurrierende, soziale und ökologische Interessen in Einklang gebracht werden können. Eine suffizienzorientierte Perspektive kann Lösungsansätze bieten.