Gentrifizierungsdiskurse am Canal de l’Ourcq in der sich wandelnden Metropole Grand Paris
Abstract
Intra-urbane Grenzziehungsprozesse in Urban Borderlands entlang des Ourcq-Kanals nordöstlich der Pariser Stadtgrenze und Ringstraße – dem Boulevard périphérique – führen seit einigen Jahren zu tiefgreifenden Veränderungen. Geplant ist, dass im Gebiet der Plaine de l’Ourcq bis 2030 mit neuem Wohnraum für etwa 25.000 Menschen auf die Wohnungsknappheit in der Metropolregion reagiert wird. Gerade der Boulevard péripherique wird als wirkungsvolle Grenze zwischen Paris intra-muros und der Plaine de l’Ourcq wahrgenommen – nicht nur baulich und damit als materielle Grenze –, sondern mit sozialer Auswirkung auf den Alltag der Bewohner*innen in der Metropolregion.
Brachflächen, aber auch aktive Industrieflächen zeugen noch heute von der industriellen Vergangenheit des Gebietes, in dem gleichzeitig eine Revitalisierung einiger Flächen in Wohnflächen, Einzelhandelsflächen, Büroräume und neue Aufenthaltsräume stattfindet, die zu einem Bevölkerungszuzug führen. Unter ihnen sind auch Pariser*innen, die aufgrund des angespannten Wohnungsmarkts aus Paris intra-muros in die Neubaugebiete entlang des Kanals ziehen.
Die Neuzuziehenden werden oftmals mit anderen Konsumgewohnheiten, höheren Bildungsniveaus und einer selbstbewussten Art, ihre Wünsche gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen zu artikulieren, assoziiert, während die bisher dort ansässigen Menschen überwiegend mit einer geringer gebildeten Bevölkerung verknüpft werden, die tendenziell über weniger finanzielle Ressourcen verfügt und andere Bedürfnisse und Ansprüche an den zur Verfügung stehenden Raum stellt. Die sich verändernde Nachbarschaft wirkt damit auf mehreren Ebenen polarisierend. Während Diskurse um Gentrifizierung und das Gefühl verdrängt zu werden im Raum stehen und viele Veränderungen baulich-materiell und damit sichtbar nachvollzogen werden können, finden Auswirkungen der Transformation auch auf unsichtbarer Ebene in den Nachbarschaften statt – mentale, individuelle, lebensweltliche Grenzziehungsprozesse verändern das Leben vor Ort und können zu neuen Ein- und Ausschlüssen führen, vorhandene Grenzziehungen stärken, aber auch Grenzen verschieben oder auflösen.
Mittels einer qualitativen Diskursanalyse wird beispielsweise analysiert, wie Konsumgewohnheiten und Raumansprüche der kürzlich Zugezogenen und den bereits ansässigen Bewohnenden sowie ein (Un‑)Zugehörigkeitsgefühl diskursiv (re‑)produziert werden und inwiefern sich subjektivierte Diskurse in übergeordnete Diskursstränge einschreiben. Go-Along-Interviews mit Bewohnenden und Expert*inneninterviews auf administrativ-städtischer Ebene sowie teilnehmende Beobachtungen liefern hierfür die Datengrundlage. Hierbei kommen auch Personen zu Wort, die sich für einen sozialen Zusammenhalt in der Nachbarschaft engagieren.