Wohnstandortpräferenzen im Kontext von Krisen: Krisen als Treiber oder Barriere von residentieller Mobilität?

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 15
Autor*innen
Martina Schorn (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Anna Kajosaari (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Alexander Barnsteiner (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Fabian Windhager (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Alois Humer (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Kurz­be­schreib­ung
In diesem Vortrag wird der Einfluss krisenhafter Ereignisse seit Beginn der 2020er Jahre (Corona-Pandemie, Energiekrise, Ukraine-Krieg und dessen wirtschaftliche Auswirkungen) auf die Wohnstandortpräferenzen und -entscheidungen der Bewohner*innen der Stadtregion Wien beleuchtet.

Abstract

Noch bis vor einigen Jahren verwiesen raumwissenschaftliche Debatten auf eine Phase der (Re‑)Urbanisierung mit einem Bevölkerungswachstum der Städte und deren Umlandgebiete als aktuellen siedlungsgeographischen und demographischen Entwicklungspfad. Die im Frühjahr 2020 ausgebrochene Corona-Pandemie hat allerdings in demographischer und diskursiver Hinsicht zu einer Abkehr vom bis dahin vorherrschenden Bild eines fortwährenden Wachstums der Städte geführt. So haben die räumlich ungleich verteilten Auswirkungen der coronabedingten Lockdowns und unterschiedlicher Raumerfahrungen je nach Wohnstandort den Diskurs um eine Renaissance ländlicher Räume befeuert. Ländliche Räume gewinnen im Zuge der Covid-Pandemie, so die Prognose, wieder zunehmend an Attraktivität. Diese Prognose könnte auch durch die im Zuge der Corona-Pandemie gestiegene Relevanz von Homeoffice und damit veränderten Ansprüchen an den Wohnraum sowie zunehmenden Möglichkeiten für multilokales Wohnen gestützt werden. Studien zur Binnenwanderung seit Ausbruch der Covid-19 Pandemie unter anderem für Deutschland, Spanien oder Norwegen stellen (zumindest kurzfristig) eine vermehrte Abwanderung aus urbanen in Richtung stärker rural geprägten Räumen fest. Die Corona-Pandemie als krisenhaftes Ereignis kann in dieser Hinsicht als Treiber für Counterurbanisierung betrachtet werden.

Gleichermaßen brachte der Ausbruch der Corona-Pandemie sowie anschließender Krisen wie die Energiekrise und die insgesamt negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg auch negative Effekte und Unsicherheiten für viele Haushalte mit sich. Steigende Wohn- und Energiekosten wie auch steigende Lebenserhaltungskosten insgesamt schränken die (finanzielle) Handlungsfähigkeit vieler Haushalte ein – und limitieren damit auch die Chancen, Wohnstandortpräferenzen tatsächlich erfüllen zu können. Krisen stellen somit auch eine Barriere für residentielle Mobilität dar.

In diesem Beitrag gehen wir anhand eines multimethodischen Vorgehens der Frage nach, inwiefern Krisen als Treiber oder Barriere für residentielle Mobilität gesehen werden können. Im Zentrum steht eine groß angelegte Public Participation GIS (PPGIS) Befragung, die im Frühjahr 2023 in der Stadtregion Wien durchgeführt wurde und in welcher unter anderem die Raumwahrnehmungen und veränderten Wohnstandortpräferenzen im Zuge der Corona-Pandemie und daran anschließender Krisen erhoben wurden. Darüber hinaus wird anhand von Binnenwanderungsdaten dargestellt, inwiefern es seit Ausbruch der Corona-Pandemie in der Stadtregion Wien tatsächlich zu veränderten Wohnstandortentscheidungen und damit einer neuen Phase der Sub-/Desurbanisierung gekommen ist. Die Kombination aus Aggregat- und Individualdaten erlaubt es, Schlüsse über eine zukünftige stadtregionale Siedlungsentwicklung im Anschluss an krisenhafte Ereignisse der frühen 2020er Jahre zu ziehen.