Zur fachübergreifenden Methodik der Welterschließung in einer Religionsgeographie des Anthropozäns

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 2.107
Autor*innen
Henrik Gasmus (Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Leistete Günter Figals Konzept des Raumes und der Räumlichkeit als des "Unscheinbaren", das gleichwohl erfahren wird, einen zu berücksichtigenden Beitrag zu einer Religionsgeographie des alltäglichen Geographiemachens im Anthropozän?

Abstract

Welche Lehre hätte sich eine Religionsgeographie zu geben, die mehr sein wollte als eine weitere “Bindestrich-Geographie”? – Sie folgte sicherlich dem einen für die Geographie aus eigener Kraft zu bearbeitenden Grundlagenkonzept, dem des Räumlichen, von neuem, um auszumachen, ob die denkbaren Formen religiöser Welterschließung Raum und Räumlichkeit spezifischen Arten des Tuns: des Herstellens von Raum und Räumlichkeit unterwerfen. Denn wenn die Herausforderung des Themas “Religion” darin besteht, daß religiöse Sachverhalte wie zum Beispiel “Gott” zumindest zum Teil einer “rationalen” Theologie (vgl. Tetens, 2015), also einer widerspruchsfreien wissenschaftlichen Beschreibung der “Erfahrungswelt” zugänglich sind (vgl. ebd., S. 8), fragt es sich auch, wie Raum als ein gegebenenfalls theologisch belangreicher Sachverhalt rational zu rekonstruieren sei: Wenn rationale theologische Argumentationen naturalistische wissenschaftliche Weltbilder herausfordern – wäre davon auch das bewährte naturalistische geographische Verständnis von Raum – Raum als sozialem und nur insofern bestehendem Konstrukt alltäglichen Geographiemachens – betroffen? Der hier vorgeschlagene Vortrag kann diese Frage nicht beantworten wollen, sondern nur zum Anlaß nehmen dafür, daß unser – zu Recht kanonisches – fachgeographisches “Tun-Verständnis” von Raum und Räumlichkeit anhand eines weiteren fachübergreifenden konzeptuellen Beispiels expliziert wird: Günter Figals Konzept des Raumes als des “Unscheinbaren”, das nicht “erscheint”, gut naturalistisch gesprochen kein “Phänomen” ist, aber “erfahren” wird: “zwar nicht so wie die Sachen und Sachverhalte, die im Raum sind und darin selbst räumlich [. . ., H.G.]; man erfährt ihn [den Raum] mit – im Sichbeziehen auf etwas, in der Räumlichkeit dessen, worauf man sich bezieht und [. . .] wohl als dieses Zusammengehören, auch wenn man das nicht ohne weiteres sagen kann” (vgl. Figal, 2015, S. 6; Hervorhebungen im Original). Trüge ein solches Konzept gemachter Räume Hilfreiches bei, wenn einerseits nicht-naturalistisch zu fassende: religiöse Formen der Welterschließung und andererseits die im “Call for paper” angesprochenen krisenhaften ökologischen Weltverhältnisse geographisch thematisiert werden sollen? Leistete, Annika Schlitte (2020) folgend, der Offenheitsvorteil dieses Konzeptes, das sinnbezogene “Gegenständlichkeit” (Figal 2006) als Welterschließung in den Mittelpunkt rückt, einen verstehensförderlichen Beitrag – nunmehr zu einer Geographie religiös-säkularer gesellschaftlicher Verhältnisse gegenüber “Natur” und Umwelt?

Figal, Günter (2006): Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie, Mohr-Siebeck, Tübingen

Ders. (2015): Unscheinbarkeit. Der Raum der Phänomenologie, ebd.

Schlitte, Annika, Günter Figal – Phänomenologie als raumhafte Reflexion und Reflexion des Raumes. In: Keiling, T., Phänomenologische Metaphysik, ebd.

Tetens, Holm (2015): Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie. Reclam, Stuttgart