Borders and boundaries revisited: Perspektiven der Grenzraumforschung für Theorie und Praxis (1/2)
Abstract der Sitzung
Jüngere krisenhafte Entwicklungen wie die sog. Flüchtlingskrise oder der Ukrainekrieg unterstreichen die These, dass Zukunftsvisionen einer ‚Borderless World‘ zumindest kurz- und mittelfristig ins Stocken geraten sind bzw. mitunter wie aus der Zeit gefallen wirken. Vielmehr gewinnen Grenzen und sich verschiebende Grenzverläufe wieder an neuerlicher Wirkkraft, wovon Diskussionen um die Absicherung der Außengrenzen der Europäischen Union oder geopolitische Machtansprüche beispielhaft zeugen. Und auch die innerEUropäischen Grenzen haben bei allen Ansätzen der grenzüberschreitenden Raumentwicklung mit der Covid-19-Pandemie trotz Schengener Abkommen zeitweise unerwartete Relevanz – Stichwort covidfencing – erlangt, die Kooperationen in Grenzräumen beeinflussen und die Frage nach künftigen Entwicklungsperspektiven mit sich bringen. Differenzierungen und Grenzziehungen durch Ein- und Ausschlüsse vollziehen sich aber nicht nur an nationalstaatlichen Rändern. Auch beispielsweise städtische Borderlands mit intra-urbanen Grenzen oder Übergangsbereichen zwischen dem Städtischen und Ländlichen machen deutlich, dass Unterscheidungen hohe Wirkmächtigkeit entfalten, beziehungsweise diese zur Orientierung herangezogen werden. Es muss daher nicht verwundern, dass die Grenzraumforschung – die Border Studies – gerade einen gewissen interdisziplinären Aufschwung erlebt.
Wie steht es vor diesem Hintergrund um die Konzeptualisierung von multiplen Grenzen und Grenzziehungen? Diese Fachsitzung bietet Raum für eine vertiefte, forschungsbezogene Auseinandersetzung mit aktuellen Konzepten der geographischen und interdisziplinären Grenzraumforschung. Mit den oben skizzierten Beispielen zeigt sich, dass neben Räumen in nationalstaatlicher Grenzlage – sogenannten Grenzregionen – auch intrastaatliche sowie soziale, kulturelle, funktionale oder mentale Grenzen unterschieden und untersucht werden können. In unserer Fachsitzung möchten wir ausgehend von vier Fachvorträgen diskutieren, wie sich Grenz(ziehung)en – borders und boundaries – theoretisch-konzeptuell in Verbindung mit empirischen Fallbeispielen deuten und umreißen lassen. Auf diese Weise möchten wir dazu beitragen, das Feld aktueller Border Studies weitergehend für die Geographie zu bestimmen, nutzbar zu machen und gleichzeitig einen Austausch und eine Vernetzung von Kolleg:innen zu befördern. Wir freuen uns daher auf Beiträge, die sich theoretisch und empirisch der Frage der Konturierung von Grenz(ziehung)en – politisch, medial, kulturell, sozial, lebensweltlich etc. – annähern.