Partizipation in Prozessen der lokalen und regionalen Energiewende in Europa (1/2)
Abstract der Sitzung
In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich Beteiligungsverfahren zu einem festen Bestandteil des Ausbaus erneuerbarer Energien entwickelt. Insbesondere in Prozessen der lokalen und regionalen Energiewende wird Partizipation als Lösungsansatz zur Konfliktreduktion diskutiert.
Heute findet sich in der Praxis eine beachtliche Bandbreite an Formaten, Methoden und Akteursverflechtungen, wobei das Ziel von Beteiligungsprozessen häufig in der Steigerung gesellschaftlicher Akzeptanz für konkrete Planungsvorhaben und Maßnahmen (wie z.B. der Errichtung von Windkraftanlagen, der Umsetzung von energetischer Gebäudesanierung oder dem Ausbau von Nahwärmenetzen) besteht.
In der Energiegeographie befassten sich bereits frühe Debatten mit der Akzeptanz erneuerbarer Energietechnologien und der Rolle von Bürgerbeteiligungen (Wüstenhagen et al. 2007, Devine-Wright 2009). Dieser Diskussion folgte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Gemeinschaft und dem Nutzen für die Gemeinschaft, um eine differenzierte Sicht auf Akzeptanz zu erreichen (Cowell et al. 2011, Becker & Kunze 2014). Später haben weitere Debatten in der Geographie dazu geführt, Fragen der Energiegerechtigkeit und Energiedemokratie zu konzeptualisieren (Jenkins et al. 2016, Becker & Naumann 2017, van Veelen & van der Horst 2018), wobei sowohl die Anerkennung und Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Akteuren (z.B. soziale Bewegungen, marginalisierte Gemeinschaften) in energiepolitischen Entscheidungsfindungsprozessen betont wurde (Hess 2018, Galvin 2020) als auch untersucht wurde, wie Forschende eine Rolle bei der Unterstützung dieser Initiativen spielen können (Baker et al. 2019, Siamanta & Dunlap 2019, Jenkins et al. 2020, Capstick et al. 2022). Parallel zur zunehmenden Verbreitung von Partizipationsprozessen haben Humangeograph:innen und Sozialwissenschaftler:innen weiterer Disziplinen Defizite in der konzeptionellen und methodischen Gestaltung sowie Durchführung von Beteiligungsprozessen kritisch analysiert. Im Fokus waren dabei vor allem Fragen nach (Un‑)Gerechtigkeit, Ungleichheit und Scheinpartizipation (Baasch & Blöbaum 2017, Baasch 2020) sowie der Einbeziehung unterschiedlicher Interessen, Perspektiven und Machtoptionen von Akteuren wie Bürger:innen, Entwickler:innen, Umweltschützer:innen und Regionalplaner:innen (Bosch et al. 2019).
In dieser Paper Session sind sowohl aktuelle konzeptionell-theoretische als auch empirische Beiträge mit einem regionalen Fokus auf Deutschland, Österreich und andere europäische Länder willkommen. Der Begriff der Partizipation wird dabei weit gefasst und kann sich auf formelle (gesetzlich vorgeschriebene), informelle (alle Formen der unverbindlichen, freiwilligen Beteiligung), selbstermächtigende Formen der Beteiligung (wie Proteste, Aktionen des zivilen Ungehorsams) sowie auf neue kooperative und partizipative Ansätze zur Einbindung der Gemeinschaft auf lokaler und regionaler Ebene beziehen.